STMUK_Handreichung_Organspende_2021_Web_BF

23 Im Jahr 2012 wurde die erweiterte Zustimmungslösung zu einer sogenannten Entscheidungslösung ergänzt. Demnach sollen die Krankenkassen alle Versicherten ab dem 16. Lebensjahr mit Informationsmaterialien zur Organspende versorgen, um die Betroffenen aufzuklären über die Möglichkeit der Organ- und Gewebespende, die Voraussetzungen der Organ- und Gewebeentnahme bei toten Spendern und die Bedeutung der Übertra gung von Gewebe und Organen für kranke Menschen. Mit Organspende-Ausweisen sollen die Betroffenen zu einer Entscheidung zur Organspende eingeladen werden. Mit einer erhöhten Spendebereitschaft soll die Entscheidungslösung den Hilfsverpflichtungen gegenüber den potenziellen Organempfängern besser nach kommen, ohne dabei das Selbstbestimmungsrecht der Organspender zu beeinträchtigen: Das Selbstbestim mungsrecht des Einzelnen wird nicht – wie bei der Widerspruchslösung – eingeschränkt, sondern durch ein Informations- und Aufklärungsangebot gefördert. - - - Allerdings ist kritisiert worden, dass es sich nicht um eine Entscheidungslösung im eigentlichen Sinne handle, da die Bürger nicht zu einer Organspendeerklärung verpflichtet werden. Im Gegenteil: Das TPG stellt ausdrücklich klar, dass niemand zu einer Erklärung über die Organ- und Gewebespende verpflichtet werden kann. Auch in Deutschland wird deshalb immer wieder über die Einführung einer Widerspruchslösung diskutiert, da die Länder mit einer Widerspruchslösung ein deutlich höheres Aufkommen an Spenderorganen haben. Der Nationale Ethik rat hatte z. B. die Verbindung einer Erklärungsregelung mit einer Widerspruchslösung empfohlen (Nationaler Ethikrat 2007). Mit dieser Kombination sollte der ethische Einwand aufgefangen werden, dass diemeistenMenschen nicht ausreichend über die Organtransplantation informiert sind und damit auch nicht die Gelegenheit haben, mögliche Bedenken gegen die Organspende zu entwickeln und diese ggf. auch zu verweigern. ­ Der Deutsche Bundestag hat sich im Januar 2020 gegen die Einführung einer Widerspruchslösung ausgesprochen. Er hat vielmehr die bestehende erweiterte Zustimmungslösung umweitere Aufklä rungsmaßnahmen ergänzt. Zudem wurde – erstmalig in Deutschland – ein Register auf den Weg gebracht, in dem die Entscheidung jedes Einzelnen für oder gegen eine Organspende gespeichert werden kann. Dieses Organspenderegister befindet sich derzeit noch im Aufbau und wird voraus sichtlich ab Mitte 2022 zur Verfügung stehen. ­ ­ Voraussetzungen der Lebendorganspende Aus ethischer Sicht sprechen keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Lebendspende. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sie mit geringen, aber nicht zu eliminierenden Risiken für die Spender verbunden sind. Neben dem Narkoserisiko sind dabei vor allemmögliche chronische Schmerzen und die psychische Belastung nach der Organentnahme zu berücksichtigen. Die Entnahme von Organen bzw. Geweben widerspricht damit dem ethischen Prinzip des Nichtschadens und ist in besonderer Weise rechtfertigungsbedürftig. Mindestens drei Voraussetzungen sollten aus ethischer Sicht erfüllt sein: 1. Der Lebendspender muss vor der Organentnahme umfassend über die mit dem Eingriff verbundenen Belastungen und Risiken aufgeklärt werden. 2. Die Zustimmung des Lebendspenders muss freiwillig und ohne Zwang oder Druck erfolgen. 3. Die Organentnahme darf weder das Leben noch die Gesundheit des Spenders nachhaltig gefährden. In der Praxis kann es schwierig sein mit Sicherheit festzustellen, ob kein unangemessener psychischer oder finanzieller Druck auf den Lebendspender ausgeübt wurde, der ihn zur Abgabe von Organen oder Organteilen veranlasste. Wie für die postmortale Organspende sind auch die Voraussetzungen der Lebendspende im TPG geregelt. Der Lebendspende wird dabei eine nachrangige Funktion gegenüber der postmortalen Organspende einge räumt: Die Organentnahme bei einem Lebenden ist nur dann zulässig, wenn kein geeignetes Organ aus einer postmortalen Spende zur Verfügung steht. Zudem dürfen nicht regenerierungsfähige Organe (z. B. Niere, Teile der Leber) nur auf „Verwandte ersten und zweiten Grades, Ehegatten, eingetragene Lebenspartner, Verlobte oder andere Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen“ übertragen werden. Diese Regelung soll einen möglichen Organhandel unterbinden. Darüber hinaus ist eine Stellungnahme einer sogenannten Lebendspende-Kommission einzuholen, die zu prüfen hat, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Einwilligung in die Organspende nicht freiwillig erfolgt oder das Organ Gegenstand eines verbotenen Organhandels ist. -

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