STMUK_Handreichung_Organspende_2021_Web_BF

24 Ethische Fragen bei der Organverteilung Für die meisten Transplantationsverfahren gibt es keine vergleichbar effektive Behandlungsalternative, so dass einem erheblichen Bedarf an Spenderorganen nur ein begrenztes Angebot an geeigneten Organen gegenübersteht. Angesichts der resultierenden Organknappheit stellt sich die Frage, nach welchen Verfahren und Kriterien die verfügbaren Organe an die zum Teil schwer erkrankten Patienten verteilt werden sollen, die auf eine Transplantation warten. Der Hauptkonflikt besteht dabei zwischen den Zielen, einerseits den medi zinischen Nutzen der Organe zu optimieren (ethisches Prinzip der Nutzenmaximierung ) und andererseits die verfügbaren Organe möglichst gerecht unter den Transplantationskandidaten zu verteilen (ethisches Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit ). - Aufgrund der großen Bedeutung der Organtransplantation für das Wohlergehen der betroffenen Patienten sollte sich die Verteilung der knappen Spenderorgane an klar definierten und ethisch gut begründeten Ver fahren und Kriterien orientieren. In Deutschland legt das TPG die Rahmenbedingungen der Organverteilung fest. Die Organvermittlung erfolgt durch die Stiftung Eurotransplant im niederländischen Leiden, die für die Organzuteilung in aktuell 8 europäischen Ländern zuständig ist. Alle auf eine Transplantation wartenden Patienten und alle postmortal gespendeten vermittlungspflichtigen Organe müssen bei Eurotransplant gemel det werden. Die verfügbaren Organe werden dann nach einem von Organ zu Organ jeweils unterschiedlichen Verteilungsmodell an die Empfänger vermittelt. Die dabei anzuwendenden Kriterien legt ebenfalls das TPG fest: „Die vermittlungspflichtigen Organe sind von der Vermittlungsstelle nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dring lichkeit für geeignete Patienten zu vergeben.“ Zudem soll die Führung einer einheitlichen Warteliste über alle Transplantationszentren hinweg die Chancengleichheit der potenziellen Organempfänger sicherstellen. Die Formulierung im TPG ist aber insofern missverständlich, als sie den falschen Eindruck erwecken kann, die Auswahl der Kriterien ergebe sich aus dem medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Tatsächlich handelt es sich dabei jedoch um normative Verteilungskriterien, die einer ethischen Begründung und rechtlichen Legitimation bedürfen. Insofern sollte man nicht von „medizinischen“ Verteilungs kriterien sprechen. - - - ­ Im Transplantationsgesetz ist festgelegt, dass die Bundesärztekammer (BÄK) den „Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in Richtlinien“ umzusetzen hat, die u. a. die Feststellung des Todes, die Aufnahme in die Warteliste und die Organvermittlung regeln. Die Richtlinien der BÄK müssen vom Bundesgesundheits ministerium genehmigt werden. - Ohne Zweifel erfordert die Konkretisierung der vom TPG vorgegebenen Kriterien Dringlichkeit und Erfolgs aussicht medizinischen Sachverstand, da auf Grundlage der verfügbaren empirischen Daten festzulegen ist, anhand welcher Parameter die Dringlichkeit abzuschätzen und die Erfolgsaussicht zu prognostizieren ist. In vielen Fällen, bspw. bei der Leberzuweisung, ist eine Abwägung zwischen den Kriterien der Dringlichkeit und Erfolgsaussicht erforderlich. Um zu verhindern, dass viele Patienten im Leberversagen auf der Warteliste versterben, wurde der sogenannte MELD (Model for End Stage Liver Disease) -Score eingeführt, der auf der Grundlage von Laborwerten eine Einschätzung der Wahrscheinlichkeit ermöglicht, dass die Patienten im Endstadium ihrer Lebererkrankung innerhalb von 3 Monaten versterben. Die Zuweisung der Spenderorgane erfolgt damit allein nach der Dringlichkeit der Transplantation. Da aber zu wenige Spenderlebern verfügbar sind, erhalten die Patienten erst mit einem sehr schlechten MELD-Score ein Organ, sodass die Erfolgsaus sichten der Transplantation deutlich schlechter werden. Die stärkere Gewichtung des Kriteriums der Dring lichkeit muss folglich mit einer schlechteren Erfolgsaussicht erkauft werden. Ob es sich hierbei um die richtige Balance beider Kriterien handelt, ist nicht aufgrund medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse zu ermitteln, sondern erfordert ethische Wertentscheidungen. Da die Gewichtung nicht aus einer allgemein akzeptierten ethischen Theorie abgeleitet werden kann, sind faire, demokratisch legitimierte Ent scheidungsverfahren eine unverzichtbare Voraussetzung einer gerechten Organverteilung. - - - - Zu beachten ist ferner, dass die gerechte Verteilung der Organe bereits bei der Aufnahme auf die Warteliste beginnt. Auch für die Wartelistenführung gibt es folglich entsprechende Vorgaben in den Richtlinien der BÄK. Dass auch dabei oft kontrovers diskutierte ethische Abwägungen erforderlich sind, sei wieder am Beispiel der Lebertransplantation verdeutlicht. Der aktuellen Richtlinie der BÄK zufolge werden Patienten mit alko holinduzierter Zirrhose grundsätzlich erst dann auf die Warteliste aufgenommen, wenn der Patient für min - -

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