STMUK_Handreichung_Organspende_2021_Web_BF

25 destens sechs Monate völlige Alkoholabstinenz eingehalten hat. Nur in begründeten Ausnahmefällen, insbe sondere bei akut dekompensierter alkoholischer Lebererkrankung, darf von diesem Erfordernis einer mindestens sechsmonatigen völligen Alkoholabstinenz abgewichen werden. Damit soll sichergestellt werden, dass nur solche Patienten eine Spenderleber erhalten, die aufgrund einer niedrigeren Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls in die Alkoholkrankheit eine bessere Erfolgsaussicht für die Organtransplantation haben. An dieser Regelung wird – neben der möglichen Ungleichbehandlung alkoholkranker Patienten – vor allem kriti siert, dass die sechsmonatige Alkoholabstinenz für sich genommen kein hinreichend verlässlicher Prädiktor für die Erfolgsaussicht der Lebertransplantation darstellt. Um Manipulationen bei der Wartelistenführung vorzubeugen, entscheidet eine ständige, interdisziplinäre und organspezifische Transplantationskonferenz über die Aufnahme von Patienten auf die Warteliste („6-Augen-Prinzip“). - - Kommentar eines Theologen: Die Entwicklung der modernen Medizin hat mit ihren Entdeckungen die Grenze zwischen Leben und Tod verschoben. War noch vor vielen Jahren der eingetretene Herzstillstand gleichbedeutend mit dem Tod eines Menschen, so ist mit intensiv-medizinischen Maßnahmen die Wiederaufnahme der Herz- und Kreislauftätigkeit möglich geworden. Operationen am offenen Herzen sind längst Standard und auch die Implantation von Fremdorganen in einen menschlichen Körper ist für die Spezialisten Routine. Bereits im Jahr 1990 haben die Kirchen, vertreten durch den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Katholische Bischofskonferenz, eine positive Stellungnahme zur Transplantationsmedizin veröffentlicht, die diese Form der Entwicklung der modernen Medizin begrüßte und auch die Entnahme von Organen eines verstorbenen Menschen akzeptiert, sofern die Diagnose Hirntod vorliegt. Bis heute ist diese Erklärung nicht zurückgenommen worden. Dennoch haben in den letzten Jahren einzelne Bischöfe, Kirchenleitungen und Synoden kritische Stellungnahmen gegen diese gemeinsame Erklärung abgegeben. Wie sehen diese Einwände aus? 1. Der Hirntod ist nicht der Tod des Menschen, sondern er markiert jene Grenze, von der aus der betroffene Mensch nicht mehr ins Leben zurückkehren kann. 2. Der Hirntod ist der Beginn des Sterbeprozesses und darf nicht als Tod des Menschen im Gesetz festge schrieben werden. - 3. Organentnahme ist nur möglich und zulässig, wenn der betroffene Patient zu seinen Lebzeiten zugestimmt hat. 4. Eventuell können Angehörige als Wahrnehmer des postmortalen Sorgerechts einer Organentnahme bei ihren Verstorbenen zustimmen. Die Entdeckungen der medizinischen Wissenschaft, die in den Möglichkeiten der Transplantationsmedizin besonders deutlich geworden sind, haben bisherige Grenzen verschoben. Seitdem es möglich geworden ist, chronischer Niereninsuffizienz mit Hilfe von Dialyseapparaten und auch der Transplantation von Leichen- und Lebendorganen zu begegnen, haben Menschen neue Lebenschancen bekommen. Das gleiche gilt für die Transplantation von Leber, Herz und Lunge, von Pankreas und Knochenmark u. a. Damit stellt sich für Theo logie und Kirche die Frage, ob der Mensch so entschlossen und entscheidend in Lebens- und Leidensprozesse eingreifen darf. Die Kirchen können dies mit Blick auf die christliche Tradition und dem Bekenntnis dazu, dass Heil und Heilung in einem unauflöslichen Zusammenhang stehen, nur bejahen. Aus einer Ablehnung der Transplantation als eine zulässige Methode aus christlichen Gründen würde unweigerlich die Frage resultie ren, warum überhaupt ärztliche Maßnahmen zugelassen und Heil- und Hilfsmittel angewandt werden sollten, die nicht auf dem chirurgischen, sondern etwa dem Gebiet der Biochemie entdeckt worden sind, wie Anti biotika und Zytostatika. Wenn wir der Frage nachgehen, ob wir Menschen das Leben in unsere Verfügung genommen haben, so ist diese Frage nicht einfach mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten. Sicher ist, dass wir Gründe anführen können, die das „Ja“ zu untermauern scheinen. Es liegt offenbar in der Natur von uns Menschen, dass wir Mitmenschen nicht in einer Situation lassen wollen, in der wir tatenlos zusehen wie sie verelenden oder gar existentiell verkommen oder ihrer Existenz beraubt werden. Es ist Sache der Theologie deutlich zu machen, dass noch immer gilt, was im Buche Hiob, Kapitel 14, Vers 5, geschrieben steht: „Der Mensch hat seine bestimmte Zeit, Gott hat die Grenze gesetzt, der Mensch wird sie nicht überschreiten“. - - -

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