STMUK_Handreichung_Organspende_2021_Web_BF

26 Dem steht die Transplantationsmedizin nicht entgegen. Sie bleibt im endlichen Raum. Sie macht den Menschen nicht unsterblich, sondern lässt ihn in seinem sterblichen, vergänglichen Rahmen. Sie sorgt aber dafür, dass die Krankheit eine andere Qualität, das menschliche Dasein eine größere Freiheit und Unabhängigkeit erhält. Das Patientendasein wird nicht aufgehoben. Angesichts der enormen Fortschritte in der Medizin ist es verständlich, wenn der Mensch seine Werke bewundert. Letztlich ist es wiederum nicht das Verdienst des Menschen, denn der Mensch schafft nichts Neues. Wäre die Möglichkeit zur Transplantationsmedizin nicht in der Schöpfung angelegt, so würde das Unternehmen Transplantationsmedizin nicht gelingen. Hier ist die Theologie herausgefordert deutlich zu machen, dass wir Menschen nur das Vorfindliche finden. Dazu ist Forschung unabdingbar und notwendig, denn ohne Forschung kann es keine Weiterentwicklung der Medizin geben. Gott will, dass wir dem Tod widerstehen, dass wir dem Leben die Bahn bereiten. Wenn wir die Schöpfung bejahen, ihre Gestörtheit und Gefallenheit akzeptieren, dann müssen wir auch sehen, dass zu den zerstörerischen Faktoren die schweren Krankheiten zählen. Diese dürfen wir nicht passiv hinnehmen, sondern wir müssen sie bekämpfen und ein dämmen. - Die Organweitergabe ist – und das wäre eine der vornehmsten Aufgaben der Theologie heute – ein Akt der Selbstverständlichkeit. Von daher könnte man sogar den Begriff der Organspende ablehnen. Zur Begründung folgende Grundthese: Organweitergabe kann ein Akt der Nächstenliebe sein oder – im Extrem – sogar als menschliche Pflicht verstanden werden. 1. Der Mensch ist nicht aus sich selbst geworden, sondern eine Creatio ex nihilo, er ist nicht Produkt seiner selbst, sondern Werk eines Anderen, er ist Geschöpf. 2. Alles was er in seiner Leiblichkeit besitzt und was ihn ausmacht, ist ihm allenfalls verliehen, kann von ihm nur verwaltet, aber nicht zum Eigentum erhoben werden. 3. Die ihm zuteil gewordene Individualität, die Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit seiner Existenz stellt ihn in eine Solidargemeinschaft von Gleichgeschaffenen, in die er hineingeschaffen ist. 4. Somit ist der Mensch ein Teil der Natur, er ist in sich selbst Natur. 5. Er kann nur Empfangenes dankbar weiterreichen. Der Apostel Paulus schreibt im 1. Korinther 4, 7: „Was hast du, das du nicht empfangen hättest“! Es ist die theologische und damit logische Konsequenz, dass Kreatürliches nur als Gabe zur möglichen Weitergabe betrachtet wird. 6. Der Mensch steht daher in einer Bringschuld gegenüber seinen Mitmenschen. Allerdings offenbaren zahllose biblische Beispiele die versäumte Bringschuld des Menschen gegenüber seinen Mitmenschen. Das Selbstbestimmungsrecht des Menschen hat in der innerkirchlichen und außerkirchlichen Diskussion häufig einen extrem hohen Stellenwert. Das Leben muss aber stets den Vorrang vor allen theoretischen Erwägungen behalten, denn gerade das hat Jesus in seiner verheißungsvollen Botschaft festgestellt, Mat thäus 7, 12: „Alles was ihr wollt, das euch die Leute tun, das tut ihr ihnen auch“! Es ist Sache der Theologie, diese herrliche Freiheit des Menschen herauszustellen, dass er seine Organe nach seinem Versterben an einen kranken Menschen weiterreichen darf. Selbstverständlich dürfen Menschen nicht moralisch unter Druck gesetzt werden, „mit Organentnahmen einverstanden zu sein“. Es ist aber durchaus nicht unchristlich, sie dazu zu ermuntern, mit Teilen ihres sterblichen Leibes Segen zu stiften. - Ein Kernpunkt in der Diskussion um die Transplantationsmedizin bildet die Diagnostik des irreversiblen Aus falls sämtlicher Gehirnfunktionen, der sogenannte Hirntod. - Die Frage stellt sich, ob der Hirntod ein sicheres Todeszeichen ist. Hier muss sich die Theologie von der Medizin helfen lassen.

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