Einsichten und Perspektiven 2|15 - page 74

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An den Grenzen unserer Welt
Schicksale am Zaun
Melilla ist ein Stück Europa auf dem afrikanischen Konti-
nent. Eine sogenannte Exklave, eine Kleinstadt auf afrika-
nischem Boden, die zu Spanien gehört. Sie ist deshalb für
viele Menschen aus Afrika, die ihr Heil in Europa suchen
wollen, eine Möglichkeit, eine Chance auf dem Landweg
in die EU einzureisen. Seit dem Jahr 1995 verfügen die
beiden spanischen Exklaven in Afrika, Ceuta und Melilla,
jeweils über den Status einer autonomen Stadt. Melilla ist
somit integraler Bestandteil des spanischen Staatsgebiets
und der EU. Dort gelten dieselben Regeln wie in allen EU-
Staaten. 
1
Das bedeutet: Falls Flüchtlinge Melilla betreten,
dann haben sie auch ein Recht darauf einen Asylantrag zu
stellen und somit bis zu dem Ergebnis seiner Prüfung zu
bleiben. Europa versucht sich durch eine massive Grenz-
anlage vor den Flüchtlingen zu schützen. Die Zäune rund
um Melilla sind sieben Meter hoch und fast elf Kilome-
ter lang. Sie werden durch Kameras und die Polizei streng
bewacht. Und dennoch versuchen immer wieder Flücht-
linge die Grenzzäune zu überwinden. Meist in der Nacht
oder in den frühen Morgenstunden, oft zusammen in gro-
ßen Gruppen, manchmal allein an vermeintlich weniger
gut bewachten Stellen. Oder aber in kleinen Gruppen, die
sich verteilen, sodass es wenigstens ein paar schaffen kön-
nen. Fast täglich gibt es Versuche die gut gesichtete Grenze
zu überwinden. Laut Zeitungsberichten leben derzeit über
2.000 Menschen im Auffanglager von Melilla, das eigent-
lich nur für 480 Personen Kapazität hat. 
2
Eine Notsitua-
tion. Die Behörden vor Ort sind überfordert. Aber nicht
zum ersten Mal.
Die Abschottung der freien Welt
Die Geschichte der Grenzanlage der Exklave ist eine trau-
rige. Eines der tragischsten und einschneidendsten Ereig-
nisse jährt sich 2015 zum zehnten Mal. Im September
2005 versuchten mehrere Tausend schwarzafrikanische
Flüchtlinge die Grenze zu überwinden. In Wellen kamen
sie immer wieder auf die Zäune zu. Ihre Strategie war es
offensichtlich durch druckvolle „Attacken“ die Grenz-
schützer zu überrumpeln. Etwa 700 schafften es. Sechs
Menschen starben bei gewaltsamen Auseinandersetzun-
gen mit marokkanischen Sicherheitsleuten. 
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Die Europäer
waren alarmiert. Ihre Reaktion: Die spanische Regierung
ließ für etwa 33 Millionen Euro einen weiteren Zaun zu
den zwei bereits existierenden errichten. Dazwischen liegt
eine Pufferzone, in der Patrouillen Wache halten. Auch
eine Ambulanz ist seither ständig vor Ort. Gelöst wurde
das Problem nicht. Ende des Jahres 2014 und zu Beginn
des Jahres 2015 kam es zu ähnlichen Massenanstürmen
wie 2005. Es stellt sich die Frage: Wieso bestehen die Spa-
nier eigentlich auf ihren Territorien in Afrika? Wozu diese
Inseln Europa auf afrikanischem Festland?
Der Grenzzaun um Melilla: mit Nato-Draht gegen Flüchtlingswellen
Foto: ullstein bild/Reuters
Ein Anachronismus mit Symbolwert
Die marokkanische Küstenstadt Melilla wurde 1497 n.Chr.
von der aufstrebenden Großmacht Spanien erobert. Sie
gehört also schon seit über 500 Jahren zu Spanien und
somit auch zu Europa. Im Jahr 1497 wurde die Stadt im
Auftrag der katholischen Könige Isabella I. von Kastilien
und Ferdinand II. von Aragón erobert. Ab 1556 unterstand
sie direkt der spanischen Krone. Im 16. Jahrhundert wurde
Melilla als Stützpunkt für weitere Aktivitäten Spaniens in
Nordafrika verstärkt. Denn auch die Spanier wollten sich
als Handelsmacht in Afrika etablieren. Nach mehreren
gescheiterten marokkanischen Belagerungen wurde die
Stadt im 17. und 18. Jahrhundert endgültig zur Festung
ausgebaut. Während der kolonialen Epoche rivalisierten
1 Vgl. François Papet-Périn: „La mer d’Alboran ou Le contentieux territorial
hispano-marocain sur les deux bornes européennes de Ceuta et Melilla“.
Doktorarbeit an der Universität Sorbonne, Paris 2012.
2 SPIEGEL-Online „Spanische Exklave: Dutzende Flüchtlinge überwinden
Grenzzäune von Melilla“:
-
dutzende-fluechtlinge-ueberwinden-grenzzaeune-a-998171.html
[Stand: 06.07.2015].
3 Vgl. „Far from home, African immigrants tell families about grueling orde­
als to reach Europe”:
-
1117-spain-homesickafricans.html [Stand: 22.10.2014].
1...,64,65,66,67,68,69,70,71,72,73 75,76,77,78,79,80
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