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Historische Darstellungen in Computerspielen
Einsichten und Perspektiven 4 | 15
viel stärker wie ein moderner, anonymer, urbaner Raum
mit historisierender Kulisse als eine korrekte historische
Darstellung. Aber eben dies unterscheidet eine künstleri-
sche Simulation von einer realistischen, dass bestimmte
Merkmale hervorgehoben werden und auf andere verzich-
tet wird. In einer Welt mit korrektem Städtebau und rea-
listischem Verhalten der Bevölkerung wäre eine Helden-
geschichte wie ACU kaum spielbar, sodass die Entwickler
sich im Leveldesign auf zentrale Plätze und die Archi-
tekturen einzelner Gebäude konzentriert haben und die
Revolutionsgeschichte über historische Figuren, eingebet-
tete Geschichten und kleinere und größere Ereignisse auf-
führen, wobei Ubisofts Haushistoriker Maxime Durand
besonderen Wert auf die dokumentierte Folklore, Mythen
und Legenden legte.
13
Während das Paris der Revolutionszeit in ACU ins-
besondere bei den bekannten Gebäuden architektonisch
und atmosphärisch als gut getroffen gilt,
14
wird von Kri-
tikern der antirevolutionäre Impetus des Spiels erwähnt,
der sich sowohl in der Narration als auch im themati-
schen Setting findet. Während der Spieler zahlreiche
Missionen zu erfüllen hat, die den Revolutionszielen ent-
gegenstehen, werden die Schrecken der Tribunalzeit, die
Gewaltexzesse und Hinrichtungen unter Zustimmung
der Bevölkerung und die Herrschaft von Robespierre als
Konsequenz einer Verschwörung der Templer inszeniert
und die Revolution damit als notwendig zum Scheitern
verurteilt dargestellt:
„And once you put a conspiracy theory
at the heart of the revolution, you are essentially doomed to
start to say things that sound counter-revolutionary because
those two things have been together for the past two hundred
and twenty years.“
15
Dies mag ein harsches Urteil für das Geschichtsbild des
Spiels sein, es muss aber im Kontext des Werks und des
Mediums gesehen werden. Zum einen stellt ACU gar nicht
den Anspruch, eine Rekonstruktion der Französischen
Revolution und ihrer sozialen, politischen und historischen
Komplexität zu sein. Als künstlerische Fiktion orientiert
es sich weniger an Historikerwerken wie Jules Michelets
„Geschichte der Französischen Revolution“ als an histori-
schen Romanen wie Emma Orczys „Scarlett
Pimpernell“
13 Matt Kamen: Assassin’s Creed historian on merging the past with fiction
(2014),
http://www.wired.co.uk/news/archive/2014-10/23/assassins-creed-unity-interview-maxime-durand [Stand: 27.11.2015]
14 Vgl. z.B. Lucy O’Brien: Assassin’s Creed Unity Is Dark, Bloody, Beautiful
(2004), vgl.
http://ca.ign.com/articles/2014/10/06/assassins-creed-unity-is-dark-bloody-beautiful [Stand: 27.11.2015].
15 Vgl. Andress in Whitaker (wie Anm. 12).
oder Charles Dickens „Geschichte zweier Städte
“
, deren
Autoren ebenfalls mehr auf die Brutalität und Schrecken
des Mobs und der Guillotine eingehen als auf die soziokul-
turellen Umstände der Revolutionsdynamik.
Historische Spiele wie Assassin’s Creed sind weniger
als Geschichtslehrgang zu würdigen, sondern vielmehr
als Ausgangspunkt, an dem ein eigenes Interesse für his-
torische Themen beginnt. Es ist ein großer Unterschied,
von der Renaissance, dem amerikanischen Unabhängig-
keitskrieg, der Französischen Revolution oder den Arbei-
terkämpfen nur zu lesen oder – zugespitzt formuliert –
zumindest als Spielerin oder Spieler dabei gewesen zu
sein. Niemand geht davon aus, in einem kommerziellen
Unterhaltungsprodukt die historisch exakte Repräsenta-
tion einer Epoche zu finden, sei es in Büchern, in Filmen
oder in Spielen. Oder wie der Historiker Nicolas Trépa-
nier es ausdrückt:
„In other words, Assassin’s Creed is the best
kind of history book: one that doesn’t simply dole out facts
and figures for the reader to memorize, but instead invites
them into its world to poke and prod at the nuances of doubt
and obscurity.“
16
(Diese Aussage lässt sich auf zahlreiche
historisierende Computerspiele übertragen. Eine kritische
Analyse ist notwendig, aber das gilt für alle Medien, in
denen explizite oder implizite Aussagen über historische
Gesellschaftsformationen getroffen werden. Die Chance,
eigene Erkundungen in simulierten historischen Schau-
plätzen anzustellen, bieten nur interaktive Medien, wobei
Computerspiele ein idealer Einstieg sein können.
16 Vgl. Anm. 11.