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Mittler zwischen Ost und West?

Einsichten und Perspektiven 3 | 16

Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, die Slowa-

kei, Ungarn, Slowenien, Malta und die Republik Zypern.

Um keine neue, eben nach Osten verschobene Spaltung

Europas zu riskieren, unterstützte Deutschland mit der

Europäischen Nachbarschaftspolitik 2004 ein Programm

für Staaten ohne konkrete Beitrittsperspektive. Assoziie-

rungsabkommen sollten zu Strukturreformen motivieren

und Stabilität in die europäische Peripherie projizieren.

Die demokratische Transformation Osteuropas, zu der

die EU und die NATO seit den 1990er Jahren maßgeb-

lich beigetragen hatten, war eine Erfolgsgeschichte. Jedoch

zeichnete sich in Russland eine gegenläufige Entwicklung

ab. Steigende Rohstoffpreise sicherten trotz Modernisie-

rungs- und Diversifizierungsdefiziten wirtschaftlichen Auf-

schwung, während das Land politisch zu autoritären Struk-

turen zurückkehrte. Dass dies international nicht folgenlos

bleiben würde, stand zu vermuten, bezeichnete Putin doch

das Ende der Sowjetunion als die „größte geopolitische

Katastrophe“ des letzten Jahrhunderts.

23

Deutschland hatte

in den 1990ern versucht, Russland als Vermittler den Weg

nach Westen zu ebnen; in den frühen 2000ern schien es

seine Rückschritte zu ignorieren, während der Westen selbst

in einer Krise steckte. Schon zehn Jahre später würde es mit

russischem Revisionismus konfrontiert sein.

23 Markus Wehner: Putins Ambitionen. „Ich denke dabei nicht nur an die

Krim“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 08.09.2014.

Deutschland als „Macht in der Mitte“ und Putins

Russland

Mit dem Einzug von Angela Merkel ins Kanzleramt

folgte die Bundesrepublik wieder voll ihren multilatera-

len Reflexen. In ihrer ersten Regierungserklärung betonte

die Bundeskanzlerin, dass die europäische Integration,

die transatlantische Bindung und die Verankerung in

der westlichen Wertegemeinschaft unverzichtbar seien.

Krisen müsse die Bundesrepublik gemeinsam mit ihren

Nachbarn meistern, „und zwar den großen und den

kleinen“. Deutschlands Rolle sah sie in der Vermittlung

und Konsensgenerierung: „Ich glaube, dass Deutsch-

lands Aufgabe auch aufgrund seiner geografischen Lage

darin bestehen sollte, Mittler und ausgleichender Faktor

zu sein.“ 

24

In der Tat war das Land seit der Wiederver-

einigung zur „Macht in der Mitte“ Europas geworden,

sowohl geografisch als auch politisch.

25

Das ging einher

mit mehr Verantwortung, Kooperation zu organisieren,

und die eigene Führungsleistung umso stärker zu europä-

isieren. Nach dem Scheitern des EU-Verfassungsvertrags

2005 besaß für Deutschland ein Reformabkommen, das

24 Angela Merkel: Regierungserklärung vom 30.11.2005, <www.bundes­

regierung.de/Content/DE/Bulletin/2001_2007/2005/11/2005-11-30-regierungserklaerung-von-bundeskanzlerin-dr-angela-merkel-vor-dem-

deutschen-bundestag-.html> [Stand: 06.09.2016].

25 Vgl. Herfried Münkler: Macht in der Mitte. Die neuen Aufgaben Deutsch-

lands in Europa, Hamburg 2015.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Wladimir Putin in Moskau, 10. Mai 2015

Foto: ullstein bild – Reuters/Fotograf: Sergej Karpukhin