Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 97

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
Aber auch hier sei angemerkt, dass darin kein kausaler Zusammenhang besteht, sondern Wahl (2009,
74) zufolge u.a. auch von den gelernten Reaktionsmustern abhängig ist. Dies gilt auch für alle ande-
ren Emotionen.
2.
Wunsch nach Aufmerksamkeit und Anerkennung kann zu Gewalt(handeln) führen.
Die Jugendlichen möchten für das was sie tun wahrgenommen werden und Anerkennung erfahren.
Insbesondere dann, wenn sie sich für ihr Empfinden für etwas Sinnvolles und Gutes engagieren, in-
dem sie sich für soziale Gerechtigkeit, gegen Rechtsextremismus etc. einsetzen. Werden ihnen dann
bspw. noch durch Polizisten Steine in den Weg gelegt, indem auf einer Kundgebung der NPD die Ge-
gendemonstranten an ihrem Protest gehindert und die „Rechten geschützt“ werden, können die
Reaktionen unter Umständen gewaltförmig sein.
Wie bereits in Kapitel 5.2.2 und auch 5.5.1 beschrieben besteht ein Missverhältnis zwischen dem
Engagement und Protest der Jugendlichen und der Aufmerksamkeit, die ihnen von der Öffentlichkeit
entgegengebracht wird. Von Jugendlichen wird konstatiert, dass man erst dann wahrgenommen
werde, wenn die Mittel die legalen Grenzen überschreiten.
„I: Wie muss für dich Engagement und Protest aussehen? Also was gehört dazu? Was ist legi-
tim, wo sind die Grenzen von Engagement und Protest auch?
A: Ja, also es ist natürlich schon wichtig, dass da klare Standpunkte sozusagen mitgeteilt wer-
den durch Flyer und auch durch Reden. Das Problem, finde ich halt, ist, dass: Natürlich sollte
das Ganze friedlich von statten gehen und sollen keine Steine geworfen werden, aber das Prob-
lem ist – also ich gehe auch immer eher zu friedlichen Demos, aber das Problem ist, irgendwie
kriegen die anderen Menschen dann davon nicht so viel mit. Und wenn dann halt doch irgend-
wie so Krawalle sind und Polizeiautos kaputt gemacht werden und Steine geworfen, dann krie-
gen das halt alle mit. Und irgendwie find’ ich, das ist schon problematisch, dass so was passie-
ren muss, bis das dann auch wirklich die Menschen interessiert. Weil solange alles gut läuft, in-
teressiert’s die Menschen meistens nicht, also jetzt die anderen, die nicht da sind. Oder die Me-
dien.“ (w)
In diesem Kontext kann der folgende Erklärungsversuch stehen – Aufmerksamkeit und Anerkennung
können, wenn sie einem verwehrt werden, auch in einem negativen Sinne erreicht werden. Indem
bestimmte Gruppierungen in der Öffentlichkeit mit Gewalt in Verbindung gebracht werden, wird
über sie und ihr Anliegen diskutiert. Auch wenn der gewünschte Effekt der gesellschaftlichen und
politischen Veränderung durch das Engagement und den Protest ausbleiben, erhält man somit für
sein Engagement (negative) Aufmerksamkeit.
„A: Ich kann gut verstehen, dass die Wut über bestimmte Verhältnisse auch einen militanten
Ausdruck finden muss, weil nur dann findet sie nämlich auch Gehör. Du kannst Flugis schreiben,
ganze Bücher, Kundgebungen veranstalten, Flugblätter verteilen überall und wirst ignoriert.
Damit will ich nicht sagen, dass diese Dinge unnötig sind, aber natürlich hast du die größte
Aufmerksamkeit über militante Aktionen. Ich weiß nicht, ob man damit den gewünschten Effekt
erzielt, aber mit etwas anderem erzielt man ihn eben auch nicht, aber es gibt zumindest eine
gewisse Aufmerksamkeit und ich kann das Bedürfnis, dass die Wut und die Verzweiflung über
Verhältnisse auch ein Ventil braucht, gut nachvollziehen.“ (w)
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