Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 99

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
halt einen Kick mehr zu tätigen, als nötig ist. Und ich denk’, das hat dann auch irgendwie was
damit zu tun, dass man halt voller Adrenalin ist und dann nicht mehr abwägen kann. Und halt
Wut, klar, wenn man wirklich richtig wütend ist. Und, ja, sowieso Unfairness macht einen wü-
tend. Und wenn das dann – also ich kann mir das gut vorstellen. Weil wenn man sich nicht ganz
bewusst davor denkt, nein, ich mach’s nicht, und sich diese Grenze zieht, dann kann ich mir vor-
stellen, dass es schnell dazu kommen kann.“ (m)
Dass Dynamiken in Gruppen
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zu Gewalt führen können, zeigt auch der folgende Interviewausschnitt.
Dort kam es auf einer Demonstration, die keinen politischen Hintergrund hatte, zu Gewalt zwischen
Demonstranten und Polizisten.
„A: Also es gab jetzt erst eine Demonstration, die war aber ursprünglich nicht politisch moti-
viert. Da ging’s um irgendeine Autogrammstunde, es war auch groß in der Presse, Autogramm-
stunde eines Konzertes, der ist dann irgendwie nicht gekommen. Und dann ist die Polizei auf-
marschiert, und dann hat sich daraus so eine Protestbewegung entwickelt gegen die Beschnei-
dung der Rechte durch die Polizei. Also da hat sich so eine Dynamik entwickelt, dann sind die
auf so einen ungeplanten Demonstrationszug gegangen, die Polizei hat dem gegengewirkt, und
dann kam’s zu Straftaten. Also da hatte ich unabhängig von einer Peergroup mehrere Jugendli-
che genau wegen dem, die dann innerhalb dieser Demonstration, die ursprünglich friedlich be-
gann, dann so ausgebrochen sind; durch diese Massenbewegung sich dann so haben aufheizen
lassen, dass sie da angefangen haben, Polizei anzugreifen.“ (Pädagogische Fachkraft)
4.
Gewalt kann in der Situation entstehen.
Auf Demonstrationen kann Gewalt in der Situation entstehen und ist nicht geplant. Selbst, wenn man
sich vorher bewusst überlegt hat keine Gewalt anzuwenden, funktioniert die eigene Abgrenzung
nicht immer. Eine Befragte antwortet auf die Frage, wie sie zu militanten Aktionen steht:
„A: Ich persönlich bin nicht konsequent dafür, jedoch weiß ich, dass ich in bestimmten Situatio-
nen militant agiere.“ (w)
Von situativ motivierter Gewalt berichtet ein anderer Jugendlicher. Er beobachtet Gewalt von Seiten
eines Polizisten gegen ein Mädchen. Da greift er ohne zu überlegen ein. Auch hier spielt die emotio-
nale Komponente, die „Wut“, die bei dem betreffenden Jugendlichen mit einem gewissen Kontroll-
verlust einhergeht und in einem „Ausrasten“ mündet, eine Rolle.
„I: Warst du selbst denn schon einmal in so einer Gewaltsituation – als Opfer oder Täter?
A: Nee, das kriegt man eher so von anderen mit, wenn die so erzählen. Ein einziges Mal habe
ich einen Bullen umgehauen …
I: Echt jetzt?
A: … also umgeschubst, als der ein Mädchen geschlagen hat bei einer Demo, die war vielleicht
so alt wie ich, obwohl die ganz friedlich war, und der hat ihr echt mit dem Knüppel auf die
Schulter gehauen. Die hat richtig aufgeschrien. Und der hat schon wieder seinen Arm gehoben,
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An dieser Stelle sei auch noch einmal auf die von Freud initiierte Massenpsychologie verwiesen (vgl. Freud 1921; König 1992; Moscovici
1994).
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