|3 |
aviso 1 | 2014
DER ZAHN DER ZEIT
Editorial
Müssen Hunde wissen, wie spät es ist? | Josef Reichholf | Seite 22
»Bedenck das End, Zeit laufft behend« | Raphael Beuing | Seite 30
Liebe Leserinnen, Liebe Leser,
»Tempora mutantur, et nos mutamur in illis.« Mit den Zeit-
läuften wandeln sich bekanntlich die Menschen, und die Ent-
wicklungen in der globalen Gesellschaft legen nahe, dass wir
uns in wachsender Beschleunigung verändern. Mit Sicherheit
ist ja vor allem eines anders geworden: Unser Umgang mit der
Zeit selbst. In einer Zeit des demografischenWandels will zwar
jeder alt werden, keiner aber alt sein – vor dem »Zahn der Zeit«
ist letztendlich keiner gefeit. Dem scheinbaren Davonrasen der
Zeit suchen wir mit immer dichter werdenden Optimierungs-
programmen Einhalt zu gebieten. Statt »Carpe Diem« ist heute
Zeitmanagement das Gebot der Stunde. Dabei gehen Zwischen-
räume und Übergangszeiten immer mehr verloren. Gerade aber
das Innehalten ist es doch, das Raum zum Gewahrwerden, Be-
sinnen, zum bewussten Setzen des nächsten Schritts gibt. Es
verwundert nicht, dass die Zeitforschung sich heute mit Phä-
nomenen der subjektiven Zeitwahrnehmung befasst. Ein immer
wichtiger werdendes Untersuchungsfeld stellt die Chronobio-
logie mit der Erforschung natürlicher Rhythmen und biologi-
schen Uhren dar. »Lerchen« und »Eulen«, so wissen wir heute,
ticken einfach nach unterschiedlichen inneren Uhren. Wie sehr
das Zeiterleben in natürlichen Prozessen verwurzelt ist, zeigt
die Identität der Begriffe für Zeit und Wetter in den romani-
schen Sprachen – »il tiempo« – oder das Wort »die Gezeiten«
im Deutschen. Die Natur enthält eine dynamische Vielfalt von
Zeitformen, der die mechanische Zeitmessung ihr einheitliches
Gleichmaß entgegensetzt. So ist die Uhr Herrschaftsinstrument
und faszinierendes Kulturobjekt zugleich, wie etwa die herausra-
gende Uhrensammlung amBayerischen Nationalmuseum zeigt.
Dr. Ludwig Spaenle
Bayerischer Staatsminister
für Bildung und Kultus,
Wissenschaft und Kunst
