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Iran: Der ganz normale Gottesstaat
Einsichten und Perspektiven 2 | 15
„Die islamische Regierung ist die Regierung des
göttlichen Rechts“
In Iran zu Zeiten der Schah-Herrschaft waren „Ungläu-
bige“ und bestimmte religiöse Gruppierungen zwar gesell-
schaftlichen, jedoch keineswegs politischen Anfeindungen
ausgesetzt. Mit der Machtübernahme Ayatollah Chomei-
nis im Jahr 1979 sollte sich dies schlagartig ändern. Der
Religionsgelehrte machte sich die Eigenheit des schiiti-
schen Glaubens zunutze: In der Zeit der Abwesenheit des
Mahdi verlangen die Gläubigen nach religiöser Anleitung,
so die Lesart der Glaubensschulen. 
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Dieser Umstand
diente – obwohl sich dies nicht explizit auf die Errichtung
einer politischen Ordnungsmacht bezog, sondern viel-
mehr dem religiösen Bereich vorbehalten war 
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– als Basis
für die Errichtung der „Islamischen Republik“.
Teheran am 4. November 1979: 400 mit Schlagstöcken
und Ketten bewaffnete Anhänger Chomeinis, die meisten
von ihnen Studenten, brechen das Tor zur amerikanischen
Botschaft auf, stürmen das Gebäude und nehmen 66 Mit-
arbeiter als Geiseln. 
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In den folgenden Tagen werden die
Amerikaner Scheinerschießungen und Schlägen ausgesetzt.
Es ist der grausame Beginn einer 444 Tage anhaltenden
Geiselnahme, die anfangs die Auslieferung des an Krebs
erkrankten Schahs – des iranischen Herrschers – fordert,
der sich in einem amerikanischen Krankenhaus aufhält.
Obwohl der Schah bereits im Juli 1980 in seinem Kairoer
Exil stirbt, werden die Geiseln erst im Januar 1981 freige-
lassen – weil man ihrer überdrüssig war und der Iranisch-
Irakische Krieg andere Prioritätensetzungen erzwang. 
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Die USA traf die brutale Geiselnahme völlig unvorbe-
reitet, hatte man doch gehofft, man könne in Iran einen
stabilen Partner im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion
halten. Es folgte eine Appeasement-Politik erster Güte:
Noch nach der Botschaftsbesetzung beteuerten die USA,
dem religiösen Regime positiv gegenüber zu stehen. Erst
ein halbes Jahr später brach US-Präsident Jimmy Carter
die diplomatischen Beziehungen zu Iran ab und berei-
tete Wirtschaftssanktionen vor. 
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Die US-Politik und
insbesondere die amerikanischen Geheimdienste hatten
die neue Realität in Iran denkbar falsch eingeschätzt: Sie
sahen sich mit einem Akteur konfrontiert, der weit davon
entfernt war, den Vereinigten Staaten ihre „Sünden“ in
Nahost zu vergeben. Dies schien – zumindest bis in die
jüngste Vergangenheit – uneingeschränkt zu gelten: Die
Politik der USA in der Region und ihr Einfluss auf die
Geschichte des Landes haben die religiösen Führer nicht
vergessen, genauso wenig wie die meisten Iranerinnen und
Iraner.
„Es ist leicht zu verstehen, warum viele Iraner di[e] Ein-
mischung Amerikas in ihre inneren Angelegenheiten bis
zum heutigen Tag übelnehmen.“ 
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Dieses Urteil stammt
nicht von linksapologetischen Studenten der Politikwis-
senschaft, sondern von Madeleine Albright, Außenminis-
terin unter der Administration Clinton. Im März 2000
räumte sie „die entscheidende Rolle“ der USA bei der
„Organisation des Sturzes“ von Mohammad Mossadegh
ein, die die Eisenhower-Administration „aus strategischen
Gründen für gerechtfertigt“ gehalten habe. Mehr noch:
Der von den Amerikanern initiierte Staatsstreich sei „ein-
deutig ein Rückschlag für die politische Entwicklung des
Iran“ gewesen.
Was war geschehen? 1949 entstand im Iran die von
Mossadegh angeführte „Nationale Front“. Sie integrierte
eine Vielfalt unterschiedlichster Gruppen – Landbesitzer
und Händler, Liberale und Sozialisten, Intellektuelle,
religiöse Gruppen und einige Rechtsextreme – mit ein
und demselben politischen Ziel: das Ende der Schah-
Herrschaft herbeizuführen, freilich aus unterschiedlichen
Gründen. 
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Mossadegh wurde ins Amt des Premierminis-
ters gewählt. Doch die Amerikaner machten der Koalition
einen Strich durch diese Rechnung: Nach anfänglicher
Begeisterung für Mossadegh ließen sie ihn unter dem
Druck der Briten, die ihr Ölgeschäft in Gefahr sahen,
fallen und organisierten dessen Sturz. 
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Bis heute gilt der
Name Mossadegh als Synonym für die Sünden des Impe-
rialismus und die amerikanische Heuchelei. 
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Dass dieser
heute verklärt wird, 
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obwohl er ein eher „opportunis-
9 Lau (wie Anm. 2), S. 401.
10 Insbesondere schiitische Rechtsgelehrte im Irak vertreten diese theologi­
sche Auffassung. Lau (wie Anm. 2), S. 402.
11 Hier und im Folgenden: Matthias Künzel: Aufstand aus dem Geist der
Religion. Von der Teheraner Botschaftsbesetzung zum iranischen Atom­
programm, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken,
Heft 696, April 2007, S. 306–314, hier S. 306 f.
12 Künzel (wie Anm. 11), S. 311.
13 Ebd., S. 307 ff.
14 Zit. nach Lau (wie Anm. 2), S. 399.
15 Ebd., S. 404.
16 Ebd., S. 405.
17 Ebd., S. 403.
18 Magris beispielsweise schreibt dazu reichlich unkritisch: „Wenn heute im
Iran die tyrannische islamische Revolution wütet und den westlichen Fort­
schritt und Liberalismus verbietet, ist dies zum Großteil jenen westlichen
Regierungen zu verdanken, die vor fünfzig Jahren mit einem Staatsstreich
die Regierung Mossadegh und ihren Versuch zu Fall brachten, aus dem
Iran ein demokratisches, weltliches Land zu machen, das selbst über sein
Schicksal und seine Rohstoffquellen verfügt.“ Magris (wie Anm. 6), S. 602.
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