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Mobilisierung durch Populismus?
Einsichten und Perspektiven 1 | 17
Spiel stehe.
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Ebenfalls profitieren würden die Rechtspopu-
listen von sogenannten „
Send-a-Signal“
-Wähler/-innen, die
aus Enttäuschung und Protest ihre Stimme einer extremen
Partei anvertrauen. Diese Gruppe wäre vermutlich sonst
nicht zur Wahl gegangen, da sie mit den übrigen Parteien
und speziell den Regierungsparteien unzufrieden ist. Die
starke Polarisierung kommt allerdings nicht zwangsläufig
nur den rechtspopulistischen Parteien selbst zu Gute. Auch
Bürger/-innen, welche die Ideologie dieser Parteien ableh-
nen, könnten besonders stark mobilisiert werden, um die
extremen Parteien von einem Erfolg abzuhalten.
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Somit
würde zwar die Wahlbeteiligung steigen, die Stimmen ver-
teilen sich aber gerade nicht auf die populistischen Parteien.
Andere Stimmen sehen aber auch die Möglichkeit einer
Demobilisierung durch den Erfolg rechtspopulistischer
Parteien. Hier ist vor allem das Schlagwort des
negative
campaigning
, also des skandalisierten „schmutzigen“Wahl-
kampfs zu nennen. Die Entwicklung und Verbreitung eines
extrem negativen Images von Parteien und Politiker/-innen
führt dazu, dass Bürger/-innen zunehmend den Eindruck
gewinnen, das politische System sei nicht mehr fähig Pro-
bleme zu lösen und die Meinungen der Bürger/-innen
verantwortungsvoll zu repräsentieren. Dies führt zu einer
Abwendung vom politischen System und folglich zu gerin-
gerer Partizipation. Speziell junge und unerfahrene Bürger
wären anfällig für die harsche Anti-Rhetorik der rechts
populistischen Parteien und würden deshalb überdurch-
schnittlich oft der Wahl fernbleiben.
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Mit Blick auf die kommenden Wahlen in den Nieder-
landen im März, in Frankreich im April und den Landtags-
wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen
im Mai bleibt nach dieser Analyse ein kräftiges „Es kommt
drauf an!“ der Politikwissenschaft. Der Zusammenhang
zwischen erhöhter Wahlbeteiligung, wie sie bei den letzten
Landtagswahlen beobachtbar war, und dem Erfolg rechts
populistischer Parteien wie der AfD ist weder im deut-
schen noch im europäischen Kontext nachweisbar. Auf der
einen Seite nutzt die AfD ebenfalls das Stilmittel eines sehr
harschen anti-elitärenTons und schlägt dabei häufig über die
Stränge.
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Diese Strategie könnte die politische Debatte in
Zukunft durchaus stärker polarisieren, als dies bei den vor-
angegangenenWahlen der Fall gewesen ist. Erreicht die AfD
41 Vgl. Immerzeel/Pickup (wie Anm. 38), S. 349.
42 Vgl. ebd.
43 Vgl. ebd., S. 350.
44 Wie beispielsweise Björn Höcke, der in seiner Rede vom 17.01.2017 das
Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ und die deut-
sche Erinnerungskultur als „dämliche Bewältigungspolitik“ bezeichnete.
so vor allem Bürger, die ein Signal setzen wollen, ist davon
auszugehen, dass die Wahlbeteiligung steigt und dies auch
überwiegend der AfD zu Gute kommt. Andererseits kann
die Polarisierung auch zu einer verstärkten Mobilisierung
der übrigenWähler/-innen führen, sodass die Steigerung der
Wahlbeteiligung in keinem Zusammenhang mit dem Erfolg
der AfD stünde. Gerade Frust- oder Abstrafungswahlen sind
häufig Phänomene von Zwischenwahlen, also Wahlen die
zwischen den Terminen der Bundestagswahl stattfinden.
Diese „Nebenwahlen“ werden von Wähler/-innen häufig
dazu genutzt, die regierenden Parteien abzustrafen, während
bei der Bundestagswahl das Gefühl eintritt, dass wirklich
etwas auf dem Spiel stehe. Somit bleibt abzuwarten, ob
die AfD bei der Bundestagswahl 2017 ähnliche Erfolge
einfahren kann wie auf der Landesebene 2016.
Des Weiteren wird es darauf ankommen, ob die AfD
Themen besetzen kann, die ausreichend polarisieren. Ob
sich die Migrationsthematik bis September 2017 als tragfä-
hig genug erweist, ist aufgrund der derzeit stabil niedrigen
Zahl an neu ankommenden Geflüchteten fraglich – dies
könnte sich jedoch auch wieder ändern. Hier bleibt aller-
dings abzuwarten, ob die Zahlen über den Sommer wieder
ansteigen. Ebenso ist noch ungewiss, ob die AfD es schafft
eigene Schwerpunkte im Bereich der Sicherheitspolitik zu
setzen. Ist die AfD hier erfolgreich, ist es wahrscheinlich,
dass die Wahlbeteiligung aufgrund stärkerer Polarisierung
wieder geringfügig ansteigen oder zumindest nicht weiter
sinken wird. Ob dies aber auch der AfD zum Erfolg ver-
hilft oder sich die neu gewonnenen Wählergruppen nicht
ebenso auf andere Parteien verteilen, lässt sich auf der
Grundlage der bisherigen Forschung kaum vorhersagen.
Wie dargelegt profitiert die AfD zwar von der Gruppe der
Nichtwähler/-innen, allerdings kommt der größere Teil
ihrer Wählerschaft durch Bürger/-innen, die vorher auch
schon eine andere Partei gewählt haben.
Fest steht: Eine steigendeWahlbeteiligung ist wünschens-
wert. Durch die niedrige Wahlbeteiligung fallen gerade
weniger privilegierte Gruppen überproportional aus dem
politischen System heraus. Dieser Mechanismus gefährdet
das Ideal politischer Gleichheit. Die häufig als „Modernisie-
rungsverlierer“ charakterisierte Gruppe wird zum Teil von
der AfD angesprochen. Bisherige empirische Ergebnisse
im europäischen Kontext und auch in dieser Studie zeigen
allerdings keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen
dem Erfolg rechtspopulistischer Parteien und steigender
oder sinkender Wahlbeteiligung. Die Befürchtung, dass vor
allem die „Falschen“ von steigender Wahlbeteiligung pro-
fitieren, scheint unbegründet. In jedem Fall profitiert aber
die Demokratie von einer großen Wahlbeteiligung.