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Die Gesundheitsberichte des Landgerichtsarztes Dr. Schleis von Löwenfeld (1772-1852)

Einsichten und Perspektiven 3 | 17

Halsentzündungen und Fieber seien als Folgekrankheiten

am häufigsten. An die Bestimmung des Viehzustandes

und der bei Tieren vorkommenden Krankheiten

25

schließt

sich eine Beschreibung der Naturgeschichte des Bezirkes

mit systematischen Verzeichnissen der Tiere, Pflanzen und

Gesteine an, bevor er sich nochmals eingehend mit dem

Krankheitsspektrum in seinem Amtsbezirk befasst.

Epidemien

Besonders hebt Schleis das „Faulfieber“ hervor, das auch

als bösartiges Fieber oder Nervenfieber bezeichnet werde

26

und schon in den vergangenen Jahrzehnten zu tödlich

verlaufenden Epidemien geführt habe. Sein Vater habe es

erfolgreich bekämpft, auch er selbst habe schon Kranke

in neun Ortschaften behandelt. Die zweite epidemische

Erkrankung sei die Dysenterie (Ruhr), die erst durch falsche

Behandlung oder Vernachlässigung der Vorsichtsregeln

gefährlich geworden sei. Nur selten seien dagegen Keuch-

husten und Masern tödlich verlaufen. Im Übrigen stünden

Lungenkrankheiten an erster Stelle. Gesundheitsschädlich

seien unter anderem übermäßiges Tanzen und Luxus.

Pocken

Keine Krankheit habe aber im Zeitraum von 1759 bis

1801 fürchterlicher gewütet als die

„Menschenblattern“

,

die Pocken. 18 große Epidemien hätten zum Tod von

6.000 Kindern geführt, 3.000 Kinder litten an den Fol-

gen. Sein Vater habe ab 1772 mehrmals Impfungen mit

Menschenpocken durchgeführt und damit einige Kinder

retten können. Er selbst habe sich seit seinem Dienstan-

tritt 1801 bemüht, die so heilsame und nützliche Kuh-

pockenimpfung einzuführen, nachdem er damit besten

Erfolg als Feldmedicus erzielt habe. Er habe mehrere Sol-

datenkinder mit einer aus England über Hannover bezo-

genen Kuhpockenlymphe geimpft.

Der englische Landarzt Edward Jenner (1749-1823) hatte

Ende des 18. Jahrhunderts erkannt, dass eine Erkrankung an

25 Der öffentliche Veterinärdienst als besonderer Verwaltungszweig entstand

erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, siehe auch Sandra Niessen:

Grundlagen und Neukonzeption der amtlichen Ausbildung von Tierärzten

unter besonderer Berücksichtigung der Anforderungen der EU, Diss.med.

vet. München 2004, S. 4.

26 Es könnte sich um das durch sog. Rickettsien hervorgerufene, durch in-

fizierte Kleiderläuse übertragene Fleckfieber gehandelt haben, allerdings

ist auch nicht auszuschließen, dass Typhus die Krankheitsursache war.

Die Übertragung erfolgt hier durch den Verzehr von salmonelleninfizier-

ten Speisen und Getränken. Zu den Krankheitsbezeichnungen siehe Jan

Brügelmann: Der Blick des Arztes auf die Krankheit im Alltag 1779-1850.

Medizinische Topographien als Quelle für die Sozialgeschichte des Ge-

sundheitswesens, Diss. phil. Berlin 1982.

den harmlosen Kuhpocken vor einer Ansteckung mit den

echten Pocken, die in ganz Europa wüteten, schützte. 1796

hatte er einen achtjährigen Jungen mit Kuhpocken geimpft

und ihn dann später folgenlos mit echten Pockenviren infi-

ziert, was die Wirksamkeit dieser Methode belegte.

Schleis von Löwenfeld war von der Impfung überzeugt,

stieß jedoch auf starke Widerstände: Leider habe er sich

Hass, Neid und Verfolgung zugezogen, so dass er die Imp-

fung, die er dem eigenen Kind und Kindern, deren Eltern

er bezahlt habe, verabreicht habe, zunächst wieder habe

aufgeben müssen. Durch Aufklärung sei es ihm gelungen,

die Vorbehalte und Bedenken auszuräumen. Ab März

1802 habe er bis September 121 Kinder mit bestem Erfolg

impfen können, darunter sogar den Sohn eines Sulzba-

cher Juden, der sich über die Vorurteile des Rabbiners

hinweggesetzt habe. Wichtig seien auch das Vorbild und

die Unterstützung der Wundärzte gewesen. Auf dem Land

habe es aber weiter Widerstand gegeben. Ein Krankheits-

ausbruch im Jahr 1803, bei dem ein neunjähriger Knabe

im Gesicht stark verunstaltet worden sei, habe als erschüt-

ternde Warnung jedoch Wirkung gezeigt. Die Zahl der

geimpften Kinder sei von 47 im Jahr 1801 auf 782 im

Jahr 1805 angestiegen. Abgesehen davon, dass die Kinder

schneller und leichter ihre Zähne bekommen hätten, habe

er keine schädlichen Impffolgen gesehen.

Für seine Aufklärungsarbeit nutzte Schleis von Löwen-

feld auch das von seinem Vater begründete Oberpfälzer

Statistische Wochenblatt, das ab 1800 von seinem Bruder

Max herausgegeben wurde. Darin bot der Physikus im

Jahr 1801 die kostenlose Kuhpockenimpfung der Kinder

mit dem aus England erhaltenen Material an. Mehrere

Hinweise finden sich auch in Ausgaben der Jahre 1802

und 1803.

27

Er berichtet, dass in London keine Neben-

wirkungen beobachtet worden seien, nennt das oben

genannte positive Beispiel des Juden und stellt den Fall des

Neunjährigen als Nachricht und Warnung dar. Ein Pfarrer

wird für seine Unterstützung gelobt.

28

27 Oberpfälzisches Statistisches Wochenblatt 1801: Nr. 13, S. 103, 1802: Nr.

18, S. 149, Nr. 25, S. 232, 1803: Nr. 32, S.578.

28 Die auf den englischen Arzt Edward Jenner (1749-1823) zurückgehende

Pockenschutzimpfung wurde 1807 in Bayern verpflichtend vorgeschrie-

ben, siehe hierzu Gesund Leben in Bayern 1808-2008 (wie Anm. 18),

S.166.