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Die Bayerische Verfassung in der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs

Einsichten und Perspektiven 3 | 16

chen Gesetzbuch – beruhen. Diese Entscheidungen können

etwa Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall

oder einer fehlerhaften Kapitalanlageberatung, das Beste-

hen eines Deckungsschutzanspruchs gegen eine Rechts-

schutzversicherung oder eine Auseinandersetzung von

Mitgliedern einer Wohnungseigentümergemeinschaft zum

Gegenstand haben. Wie bereits erwähnt, kann der Verfas-

sungsgerichtshof derartige Gerichtsentscheidungen nicht

uneingeschränkt am Maßstab der Bayerischen Verfassung

überprüfen. Grund hierfür ist, dass die bundesrechtli-

chen Rechtsvorschriften, die den Gerichtsentscheidungen

zugrunde liegen, der Bayerischen Verfassung im Rang vor-

gehen. Die Prüfung des Bayerischen Verfassungsgerichts-

hofs beschränkt sich daher in materieller Hinsicht darauf,

ob das Gericht willkürlich gehandelt hat. Das ist nur der

Fall, wenn es sich von objektiv sachfremden Erwägungen

hat leiten lassen und sich damit außerhalb jeder Rechts-

anwendung gestellt, seiner Entscheidung in Wahrheit also

gar kein Recht zu Grunde gelegt hat. Außerdem prüft der

Verfassungsgerichtshof Entscheidungen, die in einem bun-

desrechtlich geregelten Verfahren ergangen sind, daraufhin

nach, ob ein Verfahrensgrundrecht der Bayerischen Verfas-

sung verletzt ist, das – wie z.B. das rechtliche Gehör – mit

gleichem Inhalt im Grundgesetz gewährleistet ist.

Vor diesem Hintergrund betreffen die meisten Entschei-

dungen in Verfassungsbeschwerdeverfahren das Grund-

recht auf rechtliches Gehör oder das Willkürverbot. In den

vergangenen fast 70 Jahren hat sich auf diese Weise eine

sehr ausdifferenzierte Rechtsprechung des Verfassungs-

gerichtshofs zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs

und zu den sehr strengen Voraussetzungen für das Vorlie-

gen eines Willkürverstoßes herausgebildet. Dabei bestehen

weitgehende Übereinstimmungen zwischen der Rechtspre-

chung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs und der des

Bundesverfassungsgerichts.

Insgesamt haben nur sehr wenige Verfassungsbeschwer-

den Erfolg, nämlich zwei bis drei Prozent. Das liegt vor

allem daran, dass viele Beschwerdeführer den Verfassungs-

gerichtshof zu Unrecht für eine weitere Fachinstanz halten.

Der Verfassungsgerichtshof ist aber kein Rechtsmittel-

gericht, keine Superrevisionsinstanz. Die Richtigkeit der

tatsächlichen Feststellungen, der Auslegung des Rechts im

Rang unter der Verfassung und der Anwendung auf den

konkreten Fall ist nicht Sache der Verfassungsgerichtsbar-

keit. Trotz der geringen Erfolgsquote, die im Übrigen auch

für Verfassungsbeschwerden zum Bundesverfassungsgericht

gilt, ist das Institut der Verfassungsbeschwerde keineswegs

überflüssig. Man sollte nicht unterschätzen, dass Verfas-

sungsbeschwerden – selbst wenn sie letztlich erfolglos blei-

ben – eine gewisse Ventilfunktion haben und dass allein das

Bestehen einer Verfassungsklagemöglichkeit zur strengen

Beachtung der Grundrechte durch die Gerichte beiträgt.

Verfassungsbeschwerden gegen Gerichtsentscheidun-

gen geben heute nur selten Anlass zu einer Verfassungsin-

terpretation durch den Verfassungsgerichtshof. Hier geht

es weniger um die Interpretationsfunktion, sondern eher

um die Verteidigung der Verfassung. Es ist eine wichtige

Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, die Verfassung und

ihre Beachtung im täglichen Leben zu schützen. Dazu

muss er die Einhaltung der verfassungsmäßigen Schran-

ken garantieren, die der öffentlichen Gewalt, und zwar

auch den anderen Staatsorganen, im Verhältnis zum Bür-

ger gezogen sind. Schlagwortartig lässt sich diese Aufgabe

des Verfassungsgerichtshofs mit der eines „Hüters der Ver-

fassung“ umschreiben.

Manchen Verfassungsbeschwerden kommt allerdings

durchaus eine über den Einzelfall hinausgehende, richtung-

weisende Bedeutung zu. Der Verfassungsgerichtshof hatte

zum Beispiel im November 2014 über eine Verfassungs-

beschwerde gegen die Einsetzung eines parlamentarischen

Untersuchungsausschusses zu entscheiden. Der Bayerische

Landtag hatte die Einsetzung eines Untersuchungsaus-

schusses beschlossen – im Folgenden wörtlich zitiert – „zur

Untersuchung eines möglichen Fehlverhaltens bayerischer

Polizei- und Justizbehörden einschließlich der zuständigen

Staatsministerien, der Staatskanzlei und der politischen

Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger im

Zusammenhang mit dem Labor […] und der beim Bay-

erischen Landeskriminalamt eingesetzten Sonderkommis-

sion ‚Labor‘“.

Obwohl der Einsetzungsbeschluss damit das Verhalten

staatlicher Stellen zum Gegenstand der Untersuchung

erklärt, sahen sich die Beschwerdeführer – der Inhaber des

Labors und seine Ehefrau – durch die einzelnen Fragen

und Fragenkomplexe des Einsetzungsbeschlusses unter

anderem in ihren Grundrechten auf den gesetzlichen

Richter und des Verbots der Doppelbestrafung verletzt.

Die im Einsetzungsbeschluss formulierten Fragen zielten

nach Auffassung der Beschwerdeführer teilweise auf eine

inhaltliche Überprüfung rechtskräftiger strafgerichtlicher

Entscheidungen und teilweise auf die Beeinflussung eines

laufenden Strafverfahrens.

Da sich die Verfassungsbeschwerde hier (ausnahms-

weise) nicht gegen eine bundesrechtlich geprägte gericht-

liche Entscheidung richtete, sondern die Einsetzung des

Untersuchungsausschusses auf der Grundlage bayerischen

Landesrechts erfolgte, konnte der Verfassungsgerichtshof

diese ohne die oben dargelegten Einschränkungen am