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aviso 1 | 2014
DER ZAHN DER ZEIT
WERKSTATT
Ehrendoktor (Tilburg) hat Bestand. Beriefe ihn die Carl von
Ossietzky-Universität in ihren Hochschulrat, wäre keine
Empörung spürbar.
Was also kann
man Frau Schavan vorwerfen? Gefühlt
nah ist nur die Aufdeckung ihres Dissertationsplagiates nebst
aller damit verbundenen Peinlichkeiten. Dass aber die Mis-
setat spät aufgedeckt wird, darf doch der Missetäterin nicht
schaden – sondern muss ihr im Urteil eher zugute kom-
men. Welchen Einfluss hat dies auf die heutige Integrität der
Annette Schavan? Entwertet das ihre Tätigkeit seit 1980?
Ist ihr Wirken für das Cusanuswerk, für das Bistum Aachen
und in der Politik bedeutungslos? Soll Frau Schavan zurück
auf »Null« gestellt werden, auf den Status einer jungen Frau
ohne Studienabschluss? Das immerhin ließe sichmittelbar be-
gründen: Als bloße Abiturientin, also ohne die Schein-Promo-
tions-Leistung, hätte Frau Schavan keinen Zugang zu solchen
Ämtern gefunden. Mithin vereitele man nur, dass sie aus ihrer
Schein-Promotion weitere Vorteile zieht. Doch verkennt das
gleich zwei Aspekte: Tatsächlich wäre die Delinquentin bei
frühzeitiger Aberkennung ihrer Dissertation doch nicht auf
der Straße gelandet – sondern hätte etwas anderes gemacht,
vielleicht einen »richtigen Abschluss« (Diplom), vielleicht
sogar eine heilende Zweitpromotion. Rechtlich sieht das Ver-
waltungsverfahrensrecht keine Abschöpfung der Vorteile aus
einer erschlichenen Promotion vor (money for nothing, chicks
for free). Karriere und Geld bleiben; auch die Ministerpen­
sion wird nicht entzogen oder gekürzt. Und das ist auch rich-
tig, weil die Kausalität nicht zu bemessen ist. Insofern besteht
ein Unterschied zu demjenigen, der sich mit gefälschter
Approbation eine Anstellung als Arzt verschafft.
Peinlich war die ministeramtliche Fremdschambekundung
zu Lasten des Kollegen zu Guttenberg, Kollege im Minister-
amt wie im Plagiarismus. Schavan sagte am 28.2.2011:
»Als
jemand, der selbst vor 31 Jahren promoviert hat und in sei-
nemBerufsleben viele Doktoranden begleiten durfte, schäme
ich mich nicht nur heimlich. Und das wird Karl-Theodor zu
Guttenberg nicht anders gehen«
.
Autsch. Auch wenn die Pla-
giate unterschiedlich dreist sind: Hier hat Frau Schavan den
Balken im eigenen Auge ignoriert. Infam (und ehrlos) wäre
dies – wenn Frau Schavan in der Sekunde ihres Fremdschä-
mens sich klar an das eigene Abschreiben erinnert hätte.
Das indes kann man zu ihren Gunsten ausschließen: Wenn
auf irgendetwas Verlass ist, dann ist das die Verdrängungs-
kunst der Plagiatoren, die nicht bloß die allerbesten Ausreden
parat haben, sondern kraft Autosuggestion schon nach kur-
zer Zeit daran glauben, »ihren« Text selbst verfasst zu haben.
Im Übrigen hat Frau Schavan für diesen Fehler bezahlt: mit
dem Ministeramt.
[un]bewusstes Ablenkungsmanöver von professoraler
Desintegrität?
Einigermaßen erstaunlich ist immer wieder und so auch hier,
mit welch unterschiedlichem Maß akademische Integrität
(früher und besser sagte man: Ehre) ge- und bemessen wird:
Wichtiger für das Universitätsleben und für die Glaubwürdig-
keit gegenüber Studenten ist doch die Redlichkeit der Profes-
soren. Da aber schreiben viele ab – in Serie und ungehindert.
Man braucht nur die verdienstvollen und zahlreichen Arti-
kel des Journalisten Hermann Horstkotte zu ergoogeln, um
einen ersten Eindruck von der Abschreib-Fähigkeit deutschen
Hochschulpersonals zu gewinnen.
Was aber tut
der Präsident des Deutschen Hochschul-
verbandes als Hochschullehrer gegen professorale Plagiato-
ren, an seiner Kölner Fakultät und anderswo? Was tut er als
Präsident des DHV gegen so harte und dreiste Fälle wie den
Münsteraner »Professor« Holznagel? Der von seinen Mitar-
beitern ein Lehrbuch über »Juristische Arbeitstechniken und
Methoden« zusammentackern ließ und dann in die Plagiatfal-
le tappte, weil seine staatsfinanzierten Assistenten-Ghostwri-
ter sich ein Beispiel an der Forscher- und Autorenintegrität
ihres Lehrers genommen und ihrerseits abgeschrieben haben
(wie auch in den eigenen Dissertationen). Alle wissenschaft-
lichen Richtlinien verbieten die Ehrenautorschaft strikt. Im
Fall Holznagel wurden die Assistenten vomWissenschaftssys-
tem ausgespien – der Professor »bekleidet« indes nach wie vor
seine Münsteraner Professur am Institut für Informations-,
Telekommunikations- und Medienrecht. Wie integer fühlt
sich der zivilrechtliche Institutskollege, wenn er mit seinem
Schwindler-Kollegen das gemeinsame Institut repräsentiert?
Und was sagt die Münsteraner Fakultät? Erwartbar: nichts.
Solches Schweigen bei eigener Blamage passt nicht recht zum
Professorenzorn gegenüber zu Guttenberg und jetzt Schavan.
Eine Stellungnahme des DHV, die sich um die akademische
Integrität von Schwindel-Professoren und um ihre Vorbild-
wirkung bei den Studenten sorgte – die muss ich übersehen
haben. Die Nachfrage beimDHV ergibt: Gegen seinMitglied
Holznagel unternimmt der DHV solange nichts, wie die Müns-
teraner Universität nichts tut. Dass jene gegen offenkundi-
gen Professorenplagiarismus nichts unternimmt, das ist dem
DHV keine Bemerkung wert. Ähnlich einseitig ist der Ruf des
DHV nach einem Straftatbestand für Wissenschaftsbetrug,
der gewerbliche Ghostwriter außerhalb der Universität
erfasste, inneruniversitäre Plagiatoren indes unbehelligt ließe.
Was machen die
jetzt so empörten Münchner Professo-
ren an ihren eigenen Fakultäten? Sind sie dort um Plagiat-
vermeidung und Redlichkeitssicherung bemüht? Halten sie
es für schlechthin ausgeschlossen, dass in München Profes-
soren nicht selbst schreiben, sondern Assistententexte pub-
lizieren? Obschon das in den Textwissenschaften weit ver-
breitet ist, nach (freilich wissenschaftlich wenig belastbaren)
Schätzungen und Auskünften von Lektoren der Verlage bis
zu einem Drittel der Professoren betreffen soll. Schon etwas
vom »Doktorandentribut« gehört – also der rechtswidrigen
Praxis, wonach der Doktorand die Betreuung durch den Dok-
torvater damit bezahlt, dass er diesem einen Text aus seinem
Themenbereich schreibt, als dessen Autor oder Mitautor der
Prof fungiert, obschon er keine Zeile geschrieben hat? Sol-
che Frondienste gibt es in München schlechterdings nicht?
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