aviso 4 | 2014
Renaissance des zeichnens?
bayerns verborgene schätze
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Dr. Lisa Kirch
lehrt an der Universität von North
Alabama. Ihr Forschungsgebiet ist europäische Kunst
in der Frühmoderne. Dieser Artikel basiert auf
ihrem Vortrag im Rahmen der Tagung »Collecting
Prints & Drawings« im Juni dieses Jahres in
der Schwabenakademie Kloster Irsee, die von
Dr. Andrea M. Gáldy, Dr. Sylvia Heudecker und
Dr. Angela M. Opel organisiert wurde.
Interesse für Rom verweisen. Eines der Alben, das sich heute in Heidel-
berg befindet, enthält Drucke, die Gebäude, Denkmäler und Skulptu-
ren aus Rom zeigen. Ottheinrich sammelte antike römische Münzen,
Gemmen und Skulpturen. Außerdem gab er neue Arbeiten mit antiken
Inhalten in Auftrag.
Eine solche Arbeit
ist ein Relief in Solnhofer Stein. Gefertigt
als Sammlerstück zur Betrachtung aus der Nähe, stellt das Relief die
Geschichte des jungen trojanischen Prinzen Paris dar, der den Streit
zwischen drei Göttinnen darüber entscheidet, welche von ihnen die
Schönste ist. Das Urteil des Paris von Hering benutzt ganz klar einen
Druck von Lucas Cranach dem Älteren (1472-1553) als sein Modell,
obwohl es die Komposition vereinfacht. Herings Skulptur individuali-
siert auch den Druck: Sie gibt Paris die Gesichtszüge von Ottheinrich.
Diese sind einer Medaille mit Ottheinrichs Porträt entliehen, die dieser
Hering zur Verfügung gestellt hatte. Der Cranach-Druck kamwohl auch
von Ottheinrich. Zeichnungen und Drucke, die als Modelle für Künstler
und Handwerker dienten, die für ihn arbeiteten, waren in einem doku-
mentierten Album aufbewahrt, das die Zeiten allerdings nicht überlebt
hat. Zahlreiche erhaltene Objekte, die für Ottheinrich hergestellt wur-
den, basieren auf Drucken. Außerdem zeigen viele Briefe seine persön-
liche Beteiligung beim Aufbau seiner Sammlung.
Auch Ottheinrichs Hofbeamte scheinen Kenntnis davon gehabt zu
haben, wie Künstler arbeiteten. So sind in den Inventarlisten Techniken
für Zeichnungen und Skulpturen genannt, genauso wie es die Künst-
ler selbst getan hätten. So steht in den Einträgen über die Drucke im
»Schreibstüblein« ganz klar, dass diese »gestochen« sind. In anderen
Aufzeichnungen unterscheiden die Beamten zwischen Kupferstichen,
Radierungen und Holzschnitten. Wenn wir heute eine von Beamten
beschriebene Arbeit untersuchen, lässt sich deren Genauigkeit erken-
nen. Sie stützten ihre Aussage auf das, was sie sahen, und im Fall der
Techniken listeten sie die geschaffenen Drucke je nach deren besonderen
Eigenschaften. EinHolzschnitt besteht aus schwar-
zen Linien, und die Töne eines Stichs können von
hellem Silber bis zu tiefem Schwarz reichen. Ein
Stich kann detaillierter sein als einHolzschnitt, wäh-
rend eine Radierung einer Zeichnung viel mehr äh-
nelt als ein Stich oder ein Holzschnitt. Es ist klar,
dass Ottheinrichs Beamte wussten, was sie beim
Erstellen der Inventare betrachteten. Eine solche
Kennerschaft dürfte im 16. Jahrhundert üblich
gewesen sein, aber vielleicht waren Ottheinrichs
Bedienstete auch besonders sensibel hinsichtlich
der verschiedenen Drucktechniken: Ihr Fürst hatte
Druckereien in Neuburg und später in Heidelberg.
Museen, Bibliotheken und Archive in Bayern
beherbergen heute noch Objekte aus Ottheinrichs
Sammlung und zahlreiche Dokumente, die sich
darauf beziehen, vor allem Schloss Neuburg, die
Bayerischen Staatsgemäldesammlungen (Alte Pi-
nakothek), das Bayerische Nationalmuseum (vor
allem Tapisserien), das Bayerische Hauptstaatsar-
chiv (v. a. Abteilung III, das Geheime Hausarchiv
der Wittelsbacher) und die Bayerische Staatsbiblio-
thekMünchen. Diese können helfen, die Ursprünge
des Sammelns, einschließlich des Sammelns von
Drucken und Zeichnungen, zu verstehen. Eine Kon-
ferenz über das »Schreibstüblein« ist in Planung.
oben links
Thomas Hering, »Urteil des Paris«, Relief in Solnhofer Stein, um 1529, Bode-Museum, Berlin.
daneben
Lucas Cranach der Ältere: »Das Urteil des Paris«, Holzschnitt, 1508.