Einsichten und Perspektiven 2|15 - page 35

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Kloane Lüfterl und echte Orkanböen
Einsichten und Perspektiven 2 | 15
Luise Kinseher,
in Geiselhöring/Niederbayern aufgewach­
sen, hat in München Germanistik, Theaterwissenschaften
und Geschichte studiert und ist Kabarettistin und Schau­
spielerin. 2011 übernahm sie zum ersten Mal die Rolle der
„Mama Bavaria“, die auf dem Starkbieranstich auf dem
Münchner Nockherberg die Politiker „derbleckt“.
Sie hat viele Film- und Fernsehrollen, u.a. beim Tatort,
Café Meineid, München 7 übernommen und zahlreiche
Auszeichnungen und Kabarettpreise erhalten, z.B. den
1. Preis Passauer Scharfrichterbeil, den Förderpreis des
Deutschen Kleinkunstpreises; den Ernst-Hoferichter-Preis
sowie den Bayerischen Kabarettpreis. Seit 1998 ist sie
unterwegs auf deutschen Kabarettbühnen; ab Herbst ‘14
mit dem 6. Solo-Programm „Ruhe Bewahren“.
Landeszentrale:
Nach der Bavaria ist vor der Bavaria.
Kinseher:
Das stimmt, wobei ich mir immer zwei Monate
Auszeit gönne. Ich brauche immer eine Pause von der Poli-
tik, sonst werde ich wahnsinnig. [lacht]
Landeszentrale:
Bereiten Sie Ihren Auftritt nach oder sind
Sie im Kopf schon beim nächsten Nockherberg?
Kinseher:
Man bekommt es schon mit, wenn sich etwas
Grobes verändert. Aber ich lese nicht jeden Artikel in je-
der Zeitung, sondern beobachte nur die großen Züge. Die
Kleinigkeiten, ganz ehrlich, spielen in einem Jahr keine
Rolle mehr, Politik hat eine kurze Halbwertszeit. Aller-
dings hat mich natürlich der G7-Gipfel in Elmau aus mei-
nem Dornröschenschlaf gerissen. Ich bin die ganze Zeit
wie gebannt vor dem Fernseher gesessen. Was wir wieder
über das Land Bayern gelernt haben, ist doch sehr inter-
essant.
Landeszentrale:
Da hat sich doch wieder mal klar bestätigt,
dass Bayern das schönste Land auf Erden ist, oder..?
Kinseher:
Ja klar, das stimmt ja auch in gewisser Weise!
[lacht]
Landeszentrale:
Was reizt Sie am meisten an der Rolle der
Bavaria? Dass Sie die Einzige sind, die ungestraft die Landes-
politik rasieren können? Gesellschaftskritik? Oder ist es
mehr die Mutterrolle…
Kinseher:
Der Nockherberg ist ein sehr bayerisches Phä-
nomen, das tief in der bayerischen Mentalität verankert
ist und meiner Meinung nach mit der bayerischen bäuer-
lichen Mentalität zu tun hat: Es gibt einen Großbauern,
der sagt: Das ist alles meins, mein Land, meine Kühe, ich
bin hier der Regent; was das Land selbst sonst betrifft,
interessiert mich eigentlich nicht. Und der Nockherberg
ist für das Volk so etwas wie Hygiene, nach dem Motto:
Eigentlich ist er mir wurscht, aber einmal im Jahr sage ich
ihm, was ich mir denke.
Es ist typisch bayerisch, dass dabei alles so emotional
wird, zum Beispiel die Aufregung über das Freihandels-
abkommen TTIP, der Widerstand gegen die Stromtrassen
und so weiter. Das kommt tief aus der bayerischen Men-
talität. Welche Figur dann die Nockherbergpredigt hält,
kann wechseln: Es war lange ein Mann, dann ein Mönch,
jetzt die Mama Bavaria. Mittlerweile ist das auch zu ei-
nem multimedialen Ereignis mit einer großen Strahlkraft
geworden, für die Brauerei als auch für die Politik. Der
Mensch, der die Figur spielt, muss da insgesamt reinpas-
sen, muss was hermachen… und … die Bavaria macht
viel her.
Ich bin ja froh, dass ich die Rolle am Anfang so naiv über-
nommen habe, sonst hätte ich es nicht gemacht. Man
traut sich, weil man völlig ahnungslos ist. Ich habe zum
Beispiel nicht damit gerechnet, mit wieviel Frauenfeind-
lichkeit man konfrontiert wird. Ich habe mir nicht vorstel-
len können, wie viele E-Mails man bekommt.
Landeszentrale:
Was schreiben die Leute denn so?
Kinseher:
Ich schaue mir die Mails mittlerweile nicht
mehr an, aber Sie bekommen solche Kommentare wie
„Was soll das Weib“. Das geht ja noch, aber es gab auch
viele obszöne Ausdrücke, Beleidigungen, wo es auf die
persönliche oder die weibliche Ebene geht. Aber ich habe
daraus gelernt: Erstens darf man das nicht mehr lesen;
zweitens: Man braucht Durchhaltevermögen. Es waren
keine kloanen Lüfterl, das waren echte Orkanböen. Aber
ich bin stehengeblieben. Frauen wie Angela Merkel erle-
ben das ja auch.
Landeszentrale:
Hat sich Ihr Bild von Politik geändert, seit Sie
Politik direkt vis à vis mit den Protagonisten kommentieren?
Kinseher:
Ich bin ja im Grunde ein immer sehr wohl-
wollender Mensch. Das Wohlwollende ist teilweise ein
bisschen geschwunden, muss ich sagen. Als Frau gehe ich
ja empathischer an die Dinge heran – weniger über die
Analyse von politischem Handeln, sondern ich schaue
auch auf die menschliche Ebene, und da mache ich auch
schlechte Beobachtungen. Auf der anderen Seite sehe ich,
dass sich Politik in ihrer Komplexität schlecht vermitteln
lässt.
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