Einsichten und Perspektiven 2|15 - page 45

45
50 Jahre Sozialwissenschaftliches Gymnasium
Einsichten und Perspektiven 2 | 15
Das SWG startete mit drei Fächern, die die Stundentafeln der anderen Ausbildungsrichtungen nicht kannten:
Klasse (bis 1965)
Jahrgangsstufe (Zählung ab 1965/66)
6
10
7
11
8
12
9
13
Summe der
Wochenstunden
Soziallehre
2
3
4
4
13
Erziehungslehre
2
2
4
Haushaltslehre
4
4
Weitere Unterschiede bestanden darin, dass Mädchen im
Vergleich zum neusprachlichen Gymnasium in der Jahr-
gangsstufe 8 (Zählung ab 1965) eine Stunde mehr Musik,
ein Jahr später zwei zusätzliche Stunden Handarbeiten
und in den Jahrgangsstufen 9 und 10 jeweils zwei zusätz-
liche Stunden Chemie hatten. Biologie wurde in der 10.
Jahrgangsstufe um eine Stunde erweitert. In allen ande-
ren Ausbildungsrichtungen besuchten die Schüler in der
10., 12. und 13. Klasse jeweils einstündig Sozialkunde, an
deren Stelle am SWG die Soziallehre trat.
In diesem Kernfach dominierten in der 11. Jahrgangs-
stufe gesellschafts- und rechtskundliche sowie in der 12.
Jahrgangsstufe wirtschafts- und sozialpolitische Themen,
für die in der insgesamt dreistündigen Sozialkunde der
anderen Ausbildungsrichtungen nur marginal Platz war.
Die politikwissenschaftlichen Themen nahmen dagegen
einen eher bescheidenen Raum ein. Nicht zu verges-
sen ist in diesem Zusammenhang, dass das Fach Wirt-
schafts- und Rechtslehre in den sechziger Jahren nur an
den wirtschaftswissenschaftlichen Gymnasien und dort
außerdem in Kombination mit Sozialkunde unterrichtet
wurde. So bildete das Fach Soziallehre, das in der Lehrer-
bildung keine Entsprechung fand, ein Querschnittsfach,
mit wissenschaftlichen Bezugsfächern in den Bereichen
Pädagogik, Psychologie, Soziologie, Politikwissenschaft,
Wirtschafts- und Rechtslehre.
In Erziehungslehre sollten die Mädchen mit Grundfra-
gen der Entwicklungspsychologie und Pädagogik vertraut
gemacht werden, um einerseits auf ihre Erziehungsauf-
gabe in der Familie vorbereitet zu werden. Andererseits
sollten sie bei Besuchen von Erziehungsstätten während
ihres Praktikums in der 11. Jahrgangsstufe und durch
einen unterrichtsbegleitenden Sozialdienst in der 12. Jahr-
gangsstufe prüfen können, ob sie für Berufe im Bereich
der Erziehung geeignet waren.
Aufgabe der Haushaltslehre war es, die Schülerinnen mit
elementaren Kenntnissen der Ernährung und der Pflege
von Wäsche und Wohnung auszustatten.
So blieb der Zweig in den ersten zwanzig Jahren seines
Bestehens außerordentlich stark den „Fächern des Frau-
enschaffens“ verhaftet. Änderungen bei Lehrplänen und
in den Stundentafeln waren seit Ende der Siebzigerjahre
meist mit der allgemeinen Entwicklung an den bayerischen
Gymnasien verbunden. Nicht zuletzt erhielt das Fach Sozi-
alkunde mit der Einführung der Kollegstufe 1979 auch
sein wissenschaftliches Niveau, auch in den Jahrgangsstu-
fen 9 bis 11. Für die Schülerinnen des SWG bot sich dann
die Möglichkeit, einen reinen Sozialkunde-Leistungskurs
zu belegen. Auch die Facharbeit in Sozialkunde eröffnete
zusätzliche Chancen, sich mit politologischen und sozio-
logischen Themen auf vorwissenschaftlichem Niveau zu
befassen.
Politisch und juristisch umstritten: Jungen ins SWG?
Konzipiert und rechtlich im Bayerischen Erziehungs- und
Unterrichtsgesetz verankert war der Zweig als „Gymna-
sium für Mädchen“. Zwanzig Jahre nach seiner Einfüh-
rung entschied der Bayerische Verfassungsgerichtshof am
27.2.1985, dass die Regelung in Art. 8 des Bayerischen
Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes mit Art. 118 Abs. 1
Satz 1 und Art. 128 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung
unvereinbar ist. Die beiden Verfassungsartikel zielen auf
die Gleichheit vor dem Gesetz und die Gleichheit der
Ansprüche auf Ausbildung.
Dem Urteil vorausgegangen waren seit 1982 Bemü-
hungen von SPD-Abgeordneten im Bayerischen Landtag,
das Gesetz zu ändern, um Jungen den Zugang zum SWG
zu ermöglichen. Sie scheiterten mit ihren Anträgen an
der CSU-Mehrheit. Daraufhin strebte die Abgeordnete
Monika Hornig-Sutter als Mutter einer Schülerin eine
Popularklage vor dem Verfassungsgerichtshof in München
an.
Drei Verfassungsorgane, nämlich Staatsregierung, Land-
tag und (der damals noch existierende) Senat, wurden um
Stellungnahmen gebeten. Alle drei lehnten unisono und
mit ähnlichen Argumenten die Zulässigkeit der Popularklage
1...,35,36,37,38,39,40,41,42,43,44 46,47,48,49,50,51,52,53,54,55,...80
Powered by FlippingBook