Einsichten und Perspektiven 2|15 - page 61

61
„Was hat das mit mir zu tun?“
Einsichten und Perspektiven 2 | 15
Wesentlicher Bestandteil dieses Raumes aber sind die digi-
talen Lernangebote, die für die interaktiven Medientische
und digitalen Rechercheplätze in einem Kooperationsprojekt
mit der Technischen Universität München erstellt wurden.
Die vier großen Medientische bieten den neuesten Stand der
interaktiven Informationstechnologie. Neben einer Präsen-
tation der Ursprünge und Bausteine der NS-Ideologie, mit
Informationen zu den Vordenkern, Akteuren und Strömun-
gen, bildet ein zweiter Bildschirm die Netzwerke der DAP
und der NSDAP ab und zeigt die verschiedenen Einflüsse,
die zuHitlers Erstarken führten. Der dritteMedientisch führt
Sachtexte, Biografien und Kartenmaterial zusammen und
verdichtet diese zu einer erschreckend komplexen „Topogra-
phie der Verfolgung“: Etwa 15.000 Personen der verschie-
denen Opfergruppen können hier namentlich recherchiert
und ihr ehemaliger Wohnort auf einer Stadtkarte Münchens
lokalisiert werden – eine Erweiterung der in der Ausstellung
befindlichen animierten Karte. Zusätzlich werden hier auch
die mehr als 400 ehemaligen Zwangsarbeiter-, Kriegsge-
fangenen- und KZ-Außenlager im Großraum München
dargestellt, zu denen Kurzinformationen hinterlegt sind.
Auch der vierte Medientisch befasst sich noch einmal
mit dem Aufstieg der nationalsozialistischen Partei und
der Frage „Warum München?“. Um zu verstehen, wie es
die Partei aus den Hinterzimmern mitten hinein in die
vornehme Gesellschaft der Maxvorstadt geschafft hat,
werden hier die z.T. geheimen Treffpunkte der NSDAP
und ihrer Untergruppen im Stadtgebiet markiert.
Die Medientische erweisen sich vor allem für Gruppen
als ideales Vertiefungsinstrument. Die beweglichen Steine
auf der Monitoroberfläche gestalten das Lernen interaktiv
und intuitiv. Die Besucher können sinnlich erfassen und
haptisch erfahren, wie sich z.B. die einzelnen Bausteine der
NS-Ideologie zusammensetzten und welche Teile sich zu
einer verbrecherischen Weltanschauung ineinanderfügten.
Neben den Medientischen befinden sich im Lernfo-
rum 24 Rechercheplätze, an denen ein Teil der auch auf
den Medientischen gezeigten Präsentationen läuft, darü-
ber hinaus besteht aber auch die Möglichkeit, die Inhalte
der Dauerausstellung zu rekapitulieren und individuell
zu vertiefen. Ein implementiertes digitales Lexikon mit
rund 800 Artikeln zu Begriffen, historischen Ereignissen
und Personen liefert eine Fülle wissenschaftlich fundierter
Informationen, allerdings in kompakter, allgemein ver-
ständlicher Form und durch ein Medium transportiert,
das den Zugang zum „schweren Stoff“ erleichtert. Welcher
Schüler arbeitet sich schon gern durch ein dickes histo-
risches Lexikon? Die digitale Datenbank macht das „vir-
tuelle Nachschlagen“ hingegen zum spielerischen Prozess.
Das NS-Dokumentationszentrum ermöglicht generationenübergreifende
Zugänge zur Geschichte, konzentrierte Betrachtungen und audio-mediale
Begleitung. Impression aus der Ausstellungsebene 1
Foto: Orla Connolly
Die Berührung von Vergangenheit und Gegenwart, von
individueller Erinnerung und historischem Lernen wird
kaum eindrucksvoller transportiert als in Zeitzeugeninter-
views. Die Zeitzeugengeneration, jene die noch erinnern
können, kommt selbstverständlich auch im NS-Doku-
mentationszentrum München zu Wort. Ihre Stimmen
sind für die Gegenwart und für eine Zukunft ohne eigene
Erinnerungen wichtig – sie sind ein Anker zwischen ges-
tern und heute. Im NS-Dokumentationszentrum erhal-
ten die Augenzeugen auch im Lernforum eine Stimme. In
Interviews, die an den Recherchestationen zu hören und
zu sehen sind, berichten sie von ihren bewegenden Erleb-
nissen und Erfahrungen – und das ganz ohne „Knoppi-
sierung“. 
16
An dieser Station wird nun auch ein bewusst
empathischer Zugang geboten. Die Berichte, das gespro-
chene Wort, das schlichte Portrait, der begleitende Text
erzeugen Emotionen und das ist genau das Prinzip des
NS-Dokumentationszentrums: aufklären, dokumentieren
und den Menschen die Möglichkeit geben, sich auf das
Thema einzulassen – jeder so nah, wie er oder sie möchte.
Dazu braucht es keine bildgewaltigen Impressionen, kein
Hightech-Feuerwerk und keine Eventisierung von Erin-
nerung und Geschichte. Was es aber braucht, ist das
Bewusstsein: Das geht mich auch heute noch etwas an!
16 Vgl. u.a. Aleida Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinne­
rungskultur und Geschichtspolitik, München 2006, S. 214. Der Regisseur
Guido Knopp ist bekannt für die Inszenierung von Zeitzeugenaussagen
mit dramaturgischen Effekten.
1...,51,52,53,54,55,56,57,58,59,60 62,63,64,65,66,67,68,69,70,71,...80
Powered by FlippingBook