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„DDR öffnet Grenze“ – und dann?
Besetzung der Treuhand-Niederlassung in Suhl, Thüringen.
Foto: ullstein/Fotograf: Albert Foss
Ich habe „den Osten“ gleich nach meiner Rückkehr aus
Australien Anfang 1990 besucht und mich 1995 ent-
schlossen, meine berufliche Tätigkeit in Leipzig fortzuset-
zen. Selbst in dieser Zeit war mir der Osten Deutschlands
fremder als Länder wie Frankreich oder England und ich
habe meine erste Zeit in Leipzig als „Abenteuer“ begriffen.
Während meiner Besuche „im Westen“ Mitte der neun-
ziger Jahre habe ich mich über die vorurteilsbelasteten
Äußerungen über den Osten der Republik sehr geärgert,
konnte aber feststellen, dass die anfänglichen – von mir
als hochnäsig empfundenen – Äußerungen in Respekt und
teilweise auch in Bewunderung umschlugen, nachdem
immer mehr „Westdeutsche“ Ostdeutschland und insbe-
sondere deren Aushängeschilder Dresden, Leipzig, Erfurt,
Weimar, etc. besuchten. Der Neuaufbau der Infrastruktur
wie die Sanierung historischer Gebäude taten ihr Übriges
zum Stimmungsumschwung. (*1961)
Nach den ersten Jahren des Mauerfalls hat sich für mich viel geändert. Unser Haus lag auf einmal
an einer stark befahrenen Hauptstraße, die zuvor eine Sackgasse war. Ich gründete eine Bürgerini-
tiative für eine Umgehungsstraße. Dieses Anliegen wurde jedoch von namhaften Kommunalpoliti-
kern nicht unterstützt, da sie der Meinung waren, dass Neustadt nach dem Bau einer Umgehung
wieder in den „Dornröschenschlaf“ zurück fallen würde. Da ich nicht wollte, dass meine Kinder
an einer vielbefahrenen Hauptstraße aufwachsen, entschloss ich mich mit meiner Frau das liebe-
voll renovierte Haus zu verkaufen und in einem Vorort neu anzufangen. (*1960)
Das Land und die Leute waren verwahrlost und verkommen. Vor jedem Haus war ein Sandhaufen, überall Koh-
lenstaub und Dreck. Brot lag in den Mülltonnen. Ich war überrascht, dass ich in den Akten der Stasi erfasst war.
Obwohl ich keinen Kontakt zur DDR hatte. Nach der Grenzöffnung habe ich von DDR-Bürgern erfahren, dass
diese dachten, wir hätten die Mauer gebaut. Am ersten Tag nach der Grenzöffnung an der Gebrannten Brücke
wollten wir in die DDR fahren. Nach einer ganzen Zeit in der Schlange kamen wir zum Grenzübergang. Dort
sollten wir 25,00DM „Eintritt“ zahlen. Ich sah dies nicht ein, schließlich war die Grenze offen! Also legte ich zur
Verwunderung der Grenzer und der Leute hinter mir den Rückwärtsgang ein und wendete mein Auto. (*1939)
Im Osten gab es zunächst eine große Euphorie. Das neue Warenangebot war für fast alle überwältigend. Schon Anfang 1990
gab es erste Betriebsschließungen und Änderungen der Eigentumsform. Mein Betrieb wurde im Februar 1990 zur GmbH
mit gesellschafterischer Treuhandgesellschaft. Als am 1. Juli 1990 die Westmark kam, trat in den Betriebsbelegschaften keine
volle Zufriedenheit ein, obwohl das Verhältnis der Bewertung DDR-Mark/ Westmark für den Osten mit 1:2 eher günstig war.
Gegen mich und mein Leitungsgremium gab es immer wieder in Belegschaftsversammlungen starke Anfeindungen. Man gab
uns die Schuld für die härteren Anforderungen, die im Hinblick auf Arbeitsintensität und Flexibiltiät gestellt werden mussten.
Da ich immer hautnah an meinen Leuten war, kannte ich fast jeden einzelnen. Das Jahr 1990 war für mich das bislang
schwierigste und nervenaufreibendste meines Lebens. (*1938)