Table of Contents Table of Contents
Previous Page  11 / 80 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 11 / 80 Next Page
Page Background

11

Syrien stirbt

Einsichten und Perspektiven 1 | 16

tät vertreten sind. In den vergangenen Jahrzehnten war wie

in vielen Ländern der Region eine zunehmende Rückbe-

sinnung der muslimischen Bevölkerung auf die Religion zu

verzeichnen: Während beispielsweise in den frühen 1980er

Jahren lediglich eine Minderheit der Damaszener Frauen

den

Hejab

oder eine andere islamische Bedeckung trug,

war es im Jahr 2006 bereits eine Mehrheit. 

18

Neben den

Sunniten gibt es in Syrien eine schiitische Minderheit von

etwa zwei Prozent; die Hälfte von ihnen gehört der Glau-

bensrichtung der Ismailiten an. 

19

Abseits des muslimischen

Glaubensspektrums gibt es christliche Syrerinnen und

Syrer verschiedener Konfessionen (etwa zehn Prozent der

Bevölkerung), einige tausend Jesiden, die vornehmlich in

18 Vgl. Robin Wright: Dreams and Shadows. The Future of the Middle East,

New York 2008, S. 245.

19 Die Ismailiten werden in Abgrenzung zur sogenannten „Zwölferschia“, die die

größte schiitische Konfession und im Iran Staatsdoktrin ist, auch „Siebener-

schiiten“ genannt. Sie glauben, dass nicht (wie in der Überzeugung der Zwöl-

ferschiiten) Musa al-Kasim der siebte Imam gewesen sei, sondern entweder

Ismail – Sohn des sechsten Imams Jafar as-Sadiq – oder Ismails Sohn Mu-

hammad. Die ismailitische Glaubenslehre unterscheidet theologisch zwischen

den geoffenbarten Schriften mit ihren offensichtlichen religiösen Geboten und

den in den Schriften verborgenen unveränderlichen Wahrheiten, die nur durch

Interpretation zugänglich gemacht werden können. Diese Wahrheiten wer-

den von einem in der Verborgenheit lebenden Imam, dem

Mahdi

, geoffenbart.

Sunnitische Muslime bestreiten oftmals die Zugehörigkeit der Ismailiten zum

Islam. Vgl. Anja Pistor-Hatam: „Ismâ‘îliten“, in: Elger/Stolleis (wie Anm. 11).

den nördlichen Bergen angesiedelt sind und ethnisch meist

zu den Kurden gerechnet werden, und wenige tausend

Juden. Während das Zusammenleben zwischen Christen

und Muslimen in Syrien historisch vergleichsweise friedlich

geprägt war, wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun-

derts die meisten jüdischen Syrer nach Israel vertrieben.

Das Pogrom von Aleppo im Jahr 1947 und der Angriff

auf die Menarscha-Synagoge 1949 markierten die Höhe-

punkte des syrischen Antisemitismus. Heute existiert bei

Teilen der syrischen Bevölkerung, wie auch in vielen ande-

ren arabischen Ländern, eine unheilvolle Verbindung von

Antisemitismus und Antizionismus, die vorgeblich mit

der Situation der Palästinenser argumentiert, sich dabei

aber entsprechender judenfeindlicher Stereotype bedient.

Eine religiöse Gruppe, die im syrischen Glaubensspek-

trum nicht eindeutig zugeordnet werden kann, ist die ala-

witische Religionsgemeinschaft, der auch die Herrscherfa-

milie Assad angehört. 

20

Sie umfasst etwa zwölf Prozent der

syrischen Bevölkerung. Von den osmanischen Herrschern

wurden die Alawiten nicht als Muslime anerkannt; sie

20 Jedenfalls zählen sich die Assads selbst dazu; nach Tradition und Genea-

logie ist ihre Zugehörigkeit zu den Alawiten zumindest umstritten. Vgl.

Habib Abu Zarr: Die Geiseln des Löwen, in: zenith. Zeitschrift für den Ori-

ent 4 (2013), S. 18–26, hier S. 25.

Flüchtlingslager in Kilis an der syrisch-türkischen Grenze

Foto: Aynur Gündüz