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Syrien stirbt
Einsichten und Perspektiven 1 | 16
Konflikt als „Unabhängigkeitskrieg“ ein, während er den
Palästinensern als
an-Nakba
– „die Katastrophe“ – gilt,
da im Zuge der Auseinandersetzung rund 750.000 Paläs-
tinenser aus ihrer Heimat flohen oder vertrieben wurden.
Syrien schloss sich der arabischen Deutung der Ereignisse
an, zumal der junge Staat nach dem separaten Waffenstill-
standabkommen im Juli 1949 in eine länger als zwei Jahr-
zehnte andauernde innenpolitische Krise stürzte.
Die Hoffnungen auf ein zusammenhängendes arabisches
Staatsgebilde, als ideologische Bewegung „Panarabismus“
genannt, lebten in den Staaten des Nahen Ostens derweil
weiter. In der Region machte sich damit vor allem der
Ägypter Gamal Abdel Nasser einen Namen. In der Suez-
Krise von 1956 bildeten Syrien und Ägypten ein gemeinsa-
mes Oberkommando und im Februar 1958 schlossen sich
die beiden Länder zur „Vereinigten Arabischen Republik“
(VAR) zusammen. Da Ägypten sich in zentralen Politikfel-
dern allzu dominant positionierte, währte dieser Zusam-
menschluss nicht lange: In Syrien putschten im September
desselben Jahres unzufriedene Offiziere und die VAR wurde
wieder aufgelöst. Die syrische Republik jedoch blieb anfäl-
lig: Im Mai 1963 kam es abermals zu einem Staatsstreich
und erstmals erlangte die in sich zerstrittene sozialistisch
ausgerichtete Ba’th-Partei („Partei der Wiedererweckung“)
die Macht in Syrien. Dies führte zwar zu einer innenpo-
litischen Stabilisierung, doch mit dem wirtschaftlichen
Aufschwung war es vorbei:
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Nach der Unabhängigkeit
von Frankreich war es in den 1950er Jahren ökonomisch
rasch bergauf gegangen, innerhalb von zwanzig Jahren hätte
Syrien wohl zu einem stabilen und relativ wohlhabenden
Schwellenland werden können. Doch unter der Ba’th-
Regierung wurde eine ineffiziente Planwirtschaft installiert,
die mit der Ausbeutung des Landes durch eine korrupte
Elite einherging.
Wasta
– Beziehungen – wurde zur neuen
Währung des syrischen Staates.
Aus den Machtkämpfen innerhalb der Ba’th-Partei
ging – nach der Niederlage im „Sechs-Tage-Krieg“ gegen
Israel im Juni 1967 und dem Verlust der Golanhöhen im
Süden des Landes – im November 1970 der Alawit Hafiz
al-Assad, dessen Nachname „der Löwe“ bedeutet – als
Sieger hervor. Der Vater des heutigen syrischen Diktators
Bashar ließ den vorherigen Präsidenten Salah Dschadid,
unter dem er den Posten des Verteidigungsministers
besetzt hatte, sowie etliche seiner Anhänger im Zuge
der sogenannten „Korrekturbewegung“ verhaften. Mit
24 Vgl. Kristin Helberg: Brennpunkt Syrien. Einblick in ein verschlossenes
Land, Bonn 2012, S. 144 f.
99,2 Prozent der Stimmen wurde der ehemalige Luftwaf-
fenoffizier Assad im Jahr 1971 zum Präsidenten gewählt;
einen Gegenkandidaten gab es nicht. Militärisch zeigte
Assad sich erfolgreicher als seine Vorgänger: Im Jom-
Kippur-Krieg 1973 gelang die Rückeroberung zumin-
dest eines kleinen Teils des israelisch besetzten Golan, seit
1974 wurde der Waffenstillstand mit Israel eingehalten.
1976 marschierte Syrien in den Libanon ein und das
Assad-Regime isolierte sich zunehmend international.
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Nach innen erreichte es aber eine bemerkenswerte Stabili-
tät: Der einzige ernstzunehmende Putschversuch im Jahr
1983, der von Hafiz al-Assads Bruder Rifaat angeführt
wurde, endete mit der Flucht des Abtrünnigen ins Exil.
Der Diktator baute im Laufe seiner Regentschaft einen
Sicherheitsapparat auf, der für seine Willkür berüchtigt
war: Mehrere konkurrierende Geheimdienste und Ban-
den machten aus Syrien einen totalen Überwachungs-
staat. Das Vorgehen der Dienste dabei war brutal, grau-
same Folter bis zumTod war keine Ausnahme in syrischen
Gefängnissen. Immer wieder waren auch völlig unpo-
litische Syrerinnen und Syrer betroffen, es herrschte ein
Klima der Angst. Assad Seniors rigoroses Vorgehen gegen
tatsächliche politische Gegner im Inneren zeigte sich
an seinem Umgang mit der islamistischen Opposition,
namentlich mit den Muslimbrüdern. Diese, verantwort-
lich für mehrere Terroranschläge,
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wurden im Staate
Assads massiv verfolgt. Als die Muslimbrüder schließlich
im Februar 1982 im mittelsyrischen Hama den Aufstand
wagten, schickte Assad Panzer und Flugzeuge in die Stadt.
Im Verlauf der Kämpfe wurden große Teile der Altstadt
zerstört und neben etwa tausend Soldaten kamen tau-
sende Zivilisten
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ums Leben. Die Ereignisse, bekannt als
„Massaker von Hama“, hatten eine Verhaftungswelle zur
Folge, die die islamistische Opposition für lange Zeit im
Keim erstickte. Doch es traf nicht nur Islamisten: Bereits
1980 war es im Gefängnis von Palmyra zu einem Blut-
25 Dies geschah im Zuge des ersten libanesischen Bürgerkriegs, der das
Land von Mitte der 1970er Jahre bis 1990 beherrschte. Im syrisch-liba-
nesischen Vertrag vom Mai 1991 sicherte sich das Assad-Regime seinen
Status als Ordnungs- und de facto Besatzungsmacht im Libanon. Als im
Februar 2005 der syrienkritische Premierminister Rafiq al-Hariri bei einem
Attentat ums Leben kam, hinter dem der syrische Geheimdienst vermu-
tet wurde, verließen aufgrund anhaltender Proteste die letzten syrischen
Armeeeinheiten das kleine Nachbarland im April desselben Jahres.
26 So etwa 1979 in einer Militärakademie, als 50 alawitische Kadetten ums
Leben kamen.
27 Die genaue Zahl der zivilen Opfer ist bis heute umstritten; die Angaben
reichen von 5.000 bis 20.000 Menschen. Vgl. Volker Perthes: Der Aufstand.
Die arabische Revolution und ihre Folgen, München 2011, S. 120–137,
hier S. 128.