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Brexit-Online oder die trügerische Hoffnung der Jugend
Einsichten und Perspektiven 2 | 16
Die Online-Diskussion um den Brexit
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„We would be really sorry if you left the EU as the consequences
for both parties would be disastrous. Both of us benefit from this
partnership, so why put it at risk?”
Dieser emotionale Appell, vorgetragen von einer 17-jähri-
genMünchner Gymnasiastin imRahmen einer Diskussion
zum Brexit klingt gar nicht nach der häufig beschwore-
nen Generation Z, der Altersgruppe angeblich politisch-
desinteressierter Jugendlicher, die als sogenannte
Digital
Natives
der zweiten Generation nur nach Aufmerksamkeit
in den sozialen Medien giert. Und auf die Frage, ob man
nicht in Sorge darüber sei, dass die zahlreichen Migranten
zu einem starken Rechtsruck in der deutschen Bevölke-
rung führen könnten, antwortet ihr Nachbar:
„We Ger-
mans had some very bad experiences with an extreme right
government some years ago, I don’t think we will want to
repeat that mistake again.“
Hier sprechen junge Menschen,
die die Vergangenheit des eigenen Landes reflektieren,
dabei aber nicht schuldgebeugt sind.
Es handelt sich dabei um einen ganz normalen Oberstu-
fen-Englischkurs des Theresien-Gymnasiums München.
Allerdings ist der Rahmen, in dem diese Diskussion statt-
findet, nicht ganz alltäglich. Vielleicht noch nicht. Denn
die Diskussion findet online mit einem Wirtschaftskurs
der Henry VIII School in Coventry statt. Die Münchner
Schüler sitzen im Konferenzsaal des Telekom Innovation
Centers im Münchner Norden und blicken gebannt auf
ein großes Tablet, das auf einem leicht schwankendem
Segway montiert ist. Dieses zweirädrige Gefährt lässt sich
nach Belieben in Richtung einzelner Diskussionsteilneh-
mer steuern. Die Briten sitzen dagegen in einem Klassen-
zimmer und verfügen ebenfalls über eine steuerbare Web-
cam. Moderne Kommunikationstechnik im Dienste der
Völkerverständigung.
Entgegen aller Erwartungen liegt man in der Sache
aber scheinbar absolut nicht so weit auseinander, wie es
die Berichterstattung über die
Leave-
und
Remain-
Kam-
pagnen vermuten lassen würde. Von den versammelten
etwa zwanzig britischen Schülern bekennt sich nur einer
offen zu dem Wunsch die EU so schnell wie möglich
verlassen zu wollen. Alle anderen Schüler sind für einen
Verbleib in der EU. Trotzdem gibt es beim genaueren
Hinhören doch unverkennbar Unterschiede zwischen
deutscher und britischer Seite, vor allem wenn es um die
Motive für einen Verbleib geht. Die deutschen Schüler
2 Danksagung: Vielen Dank an Markus Killer und Patrick Köhler vom Inno-
vation-Center München ohne die die Online-Diskussion wohl an techni-
schen Problemen gescheitert wäre!
thematisieren natürlich die möglichen wirtschaftlichen
Folgen, betonen aber immer wieder die Wichtigkeit der
Einheit und Solidarität der europäischen Staaten und
argumentieren, dass Probleme wie Migrationsströme
und Terrorismus gemeinsam besser lösen zu sind. Auch
die Möglichkeit, ohne große bürokratische Barrieren in
anderen europäischen Staaten studieren und arbeiten zu
können wird immer wieder hervorgehoben. Die Münch-
ner Schüler empfänden das Wegbrechen Großbritanni-
ens aus dem europäischen Verbund auch als herben kul-
turellen Verlust. Diese Bedenken werden sehr aufrichtig
und zum Teil leidenschaftlich vorgetragen. Dagegen gibt
sich die britische Seite in dieser Hinsicht reservierter,
man fürchtet vor allem die möglichen negativen Konse-
quenzen für die britische Wirtschaft. Dies ist vielleicht
der Tatsache geschuldet, dass es sich bei den Diskutanten
auf der anderen Seite des Kanals um Teilnehmer eines
Wirtschaftskurses handelt. Trotzdem ist die Haltung
doch insofern bezeichnend, als einige der britischen
Schüler, die für ein Verbleiben in der EU stimmen, das
Ein Schüler des THG begrüßt den Kurs aus Coventry via Kommunikations-
computer.
Foto: Philipp Rabl