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Der Bundestrainer aus Dresden. Helmut Schön als Figur deutscher Zeitgeschichte
Einsichten und Perspektiven 2 | 17
Chef als Bundestrainer Sepp Herberger im Hotel und
wird von Beyer so zitiert: „Da hat es mich vor Rührung
überwältigt. Ich habe seinen Kopf genommen und Seppl
Herberger umarmt.“
Die Saar-Episode steht im Grunde zwischen Schöns ost-
bzw. mitteldeutscher und seiner westdeutschen Biografie.
Vorab eine kulturell-topografische Beobachtung:
Der deutsche Fußball, von seiner Frühzeit an derWende
vom 19. zum 20. Jahrhundert bis zum Ende des Zwei-
ten Weltkrieges, war an seiner Spitze über die Jahrzehnte
stets (nur) durch west- bzw. auch mitteldeutsche Vereine
geprägt gewesen, ergänzt um die Wiener Spitzenklubs aus
der damaligen sog. Ostmark von 1938 bis 1945.
Was hat das mit Helmut Schön zu tun? Helmut
Schön, der als sog. „Halbstürmer“ und knapp 18-jähri-
ger Gymnasiast seine Premiere in der ersten Mannschaft
des Dresdner SC (DSC) am 26. August 1933 absolvierte,
steht mit seiner Heimatstadt, der sächsischen Metro-
pole, neben Berlin und den dortigen Vereinen wie Her-
tha BSC, Tasmania 1900 und Tennis Borussia, sozusagen
für den östlichsten Punkt der deutschen Fußball-Topo-
grafie, bereits vor der Fixierung der Oder-Neiße-Linie
als deutsche Ostgrenze, machtpolitisch bereits mit den
Vereinbarungen der Potsdamer Konferenz vom Sommer
1945.
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Selbst der östlichste industrielle Ballungsraum des
Deutschen Reiches, das oberschlesische Montanrevier,
blieb ganz im Gegensatz zum Ruhrgebiet und auch zum
Saarland zumindest relativ eine Fußball-Diaspora. Auch
wenn man das Klischee möglichst vermeiden will: Trotz
solcher Großstädte wie Breslau und Königsberg und trotz
des oberschlesischen Montanreviers erscheint das alte Ost-
deutschland von der modernen Fußballwelt doch irgend-
wie abgehängt. Das ostelbische Deutschland der „Junker“
und die kulturelle Errungenschaft Fußball – irgendwie
ging das augenscheinlich nicht zusammen.
Helmut Schön kam aus bürgerlichen, wenn auch nicht
großbürgerlichen Verhältnissen, im April 1935 machte er
in Dresden sein Abitur, als (höchster) Bildungsabschluss
in jener Zeit zweifellos um einiges gewichtiger als heute.
Sein Zeugnis war wenn nicht brillant, so doch überdurch-
schnittlich (Beyer, S. 51), aber typisch für die damaligen
Verhältnisse war wohl auch, dass die Familie sich nicht
auf die große Perspektive eines akademischen Studiums
3 Vgl. Hardy Grüne: Deutsche Meisterschaft, S. 503ff. Danach haben es
Mannschaften aus Pommern, Schlesien, West- und Ostpreußen in Aus-
nahmefällen zwar bis ins Halbfinale, nie aber bis ins Endspiel um die
Deutsche Meisterschaft gebracht.
einließ. Helmut Schön wurde kaufmännischer Angestell-
ter, offenkundig durchaus privilegiert zwischen Beruf und
Spitzenfußball oszillierend, vom Profifußball war man
freilich noch Lichtjahre entfernt. Nationalspieler war
Helmut Schön ganze vier Jahre, von 1937 bis 1941, vom
damaligen Reichstrainer Sepp Herberger als eher weicher,
zweikampfscheuer und ballverliebter Spieler oft unnach-
sichtig kritisiert.
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Ende 1942, nach dem militärischen Wendepunkt des
Zweiten Weltkrieges, endete auch die Serie der Länder-
spiele, durch die das NS-Regime Stärke und Selbstbe-
wusstsein hatte demonstrieren wollen. Fortgeführt wur-
den freilich, teilweise bis in die letzte Phase des Krieges,
die Liga- und Meisterschaftsspiele. So kam es für Helmut
Schöns Dresdner SC in der zweiten Kriegshälfte, 1943
und 1944, noch zu zwei Kriegsmeisterschaften nach
jeweiligen Endspielen im Berliner Olympiastadion. Dres-
den löste damit, als die deutschen Städte schon unter
Bombenhagel lagen, Schalke 04 als Hegemon im deut-
schen Spitzenfußball ab, wenn man so will eine makabre
Schlussepisode, an der Helmut Schön als Spieler wie Ver-
einsidol beteiligt war.
Aus Sicht insbesondere der DDR-Forschung ist natür-
lich das sich anschließende Jahrfünft in Schöns Biografie
vom Kriegsende bis 1950, unter SBZ- und frühen DDR-
Bedingungen, am interessantesten – Bernd-M. Beyer teilt
dem Leser über diese Zeit auch eine ganze Menge mit.
Anders als der kleinbürgerlich-aufstiegsfixierte ursprüng-
liche Reichstrainer Sepp Herberger war Helmut Schön
nicht der NSDAP beigetreten,
5
und er hatte, so wird
man es in etwa resümieren können, das „Tausendjährige
Reich“ in einer zivil-bürgerlichen, indifferenten Haltung
überstanden. Ähnlich praktizierte er es nun solange es
ging unter den Bedingungen der sich herausbildenden
Arbeiter- und Bauern-Macht. In den Anfängen des Kalten
Krieges ließ er sich auf beiden Seiten blicken: Obwohl mit
dem Standbein bis 1950 in Dresden, leistete er sich im
Herbst 1947, gewissermaßen probeweise, einige Spiele für
den Hamburger FC St. Pauli. Am 1. Mai 1949 zum Chef-
4 Schöns Karriere als Nationalspieler konnte wohl aus zwei Gründen nicht
wirklich ausreifen: Zum einen war er häufig am Knie verletzt, heilte seine
Blessuren nicht wirklich aus, und die damalige Medizin stieß eben auch
deutlich schneller an Grenzen als die heutige; zum anderen kam der
„Anschluss“ Österreichs vom März 1938 dazwischen, durch den mit den
Wiener Fußballstars der bisherigen „reichsdeutschen“ Kickerelite starke
Konkurrenz erwuchs.
5 Jürgen Leinemann: Sepp Herberger. Ein Leben. Eine Legende, Berlin
1997, S. 260. Herberger hatte als PG der NSDAP die Mitgliedsnummer
2.208.548, „eingetragen am 1. Mai 1933.“