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Die Entstehung von Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus

Einsichten und Perspektiven 2 | 17

Die Entstehung von Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in

Deutschland vollzog sich in langwierigen, schwierigen und vielfach von massiven

politisch-gesellschaftlichen Konflikten begleiteten Prozessen und vor dem Hinter-

grund verschiedener Rahmenbedingungen.

1

Dazu gehörte neben den Vorgaben

und Entscheidungen der Besatzungsmächte vor allem die wirtschaftliche Notlage

aufgrund der Kriegszerstörungen, hier besonders die Wohnungsnot, die zudem noch

verstärkt wurde durch das Erfordernis, mehrere Millionen Flüchtlinge und Heimatver-

triebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und anderen Teilen Mittel- und

Osteuropas aufzunehmen. Auch die zwischen den Siegermächten entstandenen

Konflikte, die in dem „Kalten Krieg“ mündeten, hatten erhebliche Auswirkungen auf

die Herausbildung von Gedenk- und Erinnerungskulturen in den verschiedenen Teilen

Deutschlands. Auf der Ebene kollektiver Einstellungen sind zudem die Deutungs- und

Verhaltensmuster der Bevölkerung sowie populäre Geschichtsbilder einzubeziehen.

2

In der Literatur lässt sich ein sehr unterschiedlicher Gebrauch

des Begriffs „Gedenkstätte“ ausmachen. In einem sehr weit

gefassten Begriffsverständnis werden dabei auch Mahn-

male und Gedenktafeln, die an Opfer von NS-Verbrechen

erinnern, einbezogen. In den letzten Jahrzehnten hat sich

der engere Begriff der „arbeitenden“ Gedenkstätte etab-

liert. Danach werden als Gedenkstätten Einrichtungen

wie beispielsweise in Dachau und Flossenbürg bezeichnet,

„die neben Gebäuden, Geländen und sonstigen originalen

Zeugnissen wie Akten, Fotos usw. über ein Archiv, eine

Ausstellung und ein Minimum an Personal zur Wahrneh-

mung ihrer Aufgaben verfügen.“ 

3

Diese Veränderungen

der Begrifflichkeit spiegeln aber auch die Entwicklung des

Opfergedenkens nach 1945 wider.

Unmittelbar nach der Befreiung im April und Mai 1945

durch Truppen der Alliierten waren es zunächst die über-

lebenden, aus vielen europäischen und außereuropäischen

Ländern stammenden Häftlinge der Konzentrationslager,

1 Vgl. dazu ausführlich: Cornelia Siebeck: 50 Jahre „arbeitende“ NS-Ge-

denkstätten in der Bundesrepublik. Vom gegenkulturellen Projekt zur

staatlichen Gedenkstättenkonzeption – und wie weiter?, in: Elke Gryglew-

ski u.a. (Hg.): Gedenkstättenpädagogik. Kontext, Theorie und Praxis der

Bildungsarbeit zu NS-Verbrechen, Berlin 2015, S. 19–43.

2 Vgl. Edgar Wolfrum: Die geglückte Demokratie. Geschichte der Bundes­

republik von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Bonn 2007, S. 171.

3 Wulff E. Brebeck: Gedenkstätten für NS-Opfer im kollektiven Gedächtnis

der Bundesrepublik Deutschland, in: Arbeitskreis NS-Gedenkstätten NW

(Hg.): Den Opfern gewidmet – auf Zukunft gerichtet. Gedenkstätten für die

Opfer des Nationalsozialismus in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf o.J., S. 6.

die Gedenkveranstaltungen für ihre während der Lager-

zeit ermordeten und umgekommenen Kameraden abhiel-

ten. Sie errichteten auch bereits Mahnmale aus vorhande-

nen Materialien wie Holz und Textilien, die überwiegend

jedoch nur temporärer Art waren.

4

Fast zeitgleich mussten

auf Anordnung der amerikanischen Besatzungsbehörden

etwa tausend Weimarer Bürger das Konzentrationslager

besichtigen und sich mit eigenen Augen von den dort

begangenen Verbrechen überzeugen.

5

In Dachau wurden

dreißig Honoratioren der Stadt zu einem Zwangsbesuch im

Krematorium des Lagers verpflichtet. Die Reaktionen dar-

auf waren nicht nur Schrecken und Betroffenheit, sondern

stärker noch Abwehr mit dem Hinweis, man habe von den

Geschehnissen hinter den Absperrungen des Lagers nichts

gewusst und habe damit überhaupt nichts zu tun.

6

Hier

wird bereits die Grundkonstellation der folgenden Jahr-

zehnte deutlich. Es sind zu dieser Zeit fast ausschließlich

die überlebenden Opfer und Verfolgten des Naziregimes,

4 Vgl. Stefanie Endlich: Orte des Erinnerns – Mahnmale und Gedenkstätten,

in: Peter Reichel u.a. (Hg.): Der Nationalsozialismus – Die zweite Geschich-

te. Überwindung – Deutung – Erinnerung, München 2009, S. 350–377, hier

S. 352.

5 Vgl. Jens Schley: Nachbar Buchenwald. Die Stadt Weimar und ihr Konzen-

trationslager 1937–1945, Köln/Weimar/Wien 1999, S. 1ff.

6 Vgl. Sybille Steinbacher: „… daß ich mit der Totenklage auch die Klage um

unsere Stadt verbinde“. Die Verbrechen von Dachau in der Wahrnehmung

der frühen Nachkriegszeit, in: Norbert Frei/Sybille Steinbacher (Hg.): Be-

schweigen und Bekennen. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft und der

Holocaust, Göttingen 2001, S. 11–33, hier S. 16 f.