Table of Contents Table of Contents
Previous Page  32 / 80 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 32 / 80 Next Page
Page Background

32

Der Erste Weltkrieg als Zäsur der Geschichte Bayerns

Einsichten und Perspektiven 4 | 17

aufgesucht hatten, wurden unmittelbar dem Kampfbund

zugeführt. Für viele andere gegenrevolutionäre Kräfte

war zunächst auch die Wohnung von Beppo Römer eine

Anlaufstelle […]. Die Thule wiederum hatte schon sehr

früh Kontakt zu Oberleutnant Kaiser, der damals im

‚Ministerium für militärische Angelegenheiten‘ tätig war.

Er vermittelte uns meist junge Offiziere und andere inter-

essierte Waffenträger, die die Absicht hatten, irgendetwas

gegen die immer stärker werdende kommunistische Agi-

tation zu unternehmen. Man darf auch nicht vergessen,

daß sich viele junge Offiziere, freiwillige Fahnenjunker,

Studenten usw., die in München lebten bzw. nach Mün-

chen zurückgekehrt waren, von ihren Gymnasien oder

Clubs her kannten. Wenn einer etwas erfuhr, wußte auch

sein Freundeskreis in kürzester Zeit Bescheid.“ In anderen

Freikorps fanden sich ehemalige Angehörige bestimmter

militärischer Formationen zusammen. Es setzte sich hier

also Kriegskameradschaft unmittelbar fort. Ein wichtiges

Beispiel dafür ist das „Freikorps Erhardt“, das sich aus der

Marinebrigade von Kapitän Hermann Erhardt gebildet

hatte und später als „Brigade Erhardt“ beziehungsweise

„Organisation Consul“ mit der Zentrale München als

rechte Untergrundorganisation weiterlebte.

25

Die Frei-

korpswerber erhielten Geld und falsche Pässe, sie schmug-

gelten mit Wissen des Münchner Polizeipräsidenten Ernst

Pöhner die benötigten Waffen ein und warben Freiwillige

an. Der Krieg konnte, er durfte für diese Männer nicht zu

Ende sein, eine Rückkehr in eine bürgerliche Normalität

schien unmöglich. Dies zeigen die Freikorpsabenteuer im

Baltikum und in Oberschlesien wie auch die Putschversu-

che und politischen Morde.

Als großes Sammelbecken aller militaristischen und

nationalistischen Kräfte erwies sich das Baltikumaben-

teuer. Hier kamen auch diejenigen zum Zuge, die wegen

ihres jugendlichen Alters im Krieg nicht mehr zum Ein-

satz gekommen waren: Ernst von Salomon gehörte dazu

und viele andere.

26

Emil Gumbel, Mathematikprofessor

und einer der profiliertesten Kritiker dieser Bewegung,

bezeichnet folgenden Werdegang als charakteristisch für

die Mitglieder dieser Truppen:

27

Teil der Jugendwehr

25 Martin Sabrow: Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und

die deutsche Gegenrevolution, Frankfurt am Main 1999.

26 Salomon, der seine Zeit als „Landsknecht“ nach 1945 noch einmal in sei-

nem Buch „Der Fragebogen“ aufgriff, gehört zu den profiliertesten Vertre-

tern dieser Generation. Ernst von Salomon: Die Geächteten, Berlin 1930.

Zu Salomon auch an vielen Stellen des Buches Theweleit (wie Anm. 16),

Bd. 2.

27 Emil Gumbel: Zwei Jahre politischer Mord; ders. (wie Anm. 12).

oder Kadett im Krieg, Einwohnerwehrmitglied, Frei-

korpskämpfer gegen die Räterepublik, Baltikumkämpfer,

Kapp-Putschist, Selbstschutzmann in Oberschlesien

28

und

dann Mitglied eines der rechten Geheimbünde. Es bil-

deten sich Armeen, beispielsweise die Eiserne Division,

deren Anwerbung von der deutschen Regierung öffentlich

unterstützt wurde. Für die Teilnehmer erfüllte sich hier

ihre Sehnsucht nach Krieg und Kampf. Das Baltikuma-

benteuer war voll unbegründeter Grausamkeit. Zurück

blieb ein Meer der Verwüstung. Ernst von Salomon: 

29

„Wir

knallten in überraschte Haufen und tobten und schos-

sen und schlugen und jagten. Wir trieben die Letten wie

Hasen übers Feld und warfen Feuer in jedes Haus und

pulverten jede Brücke zu Staub und knickten jede Tele-

graphenstange. Wir schmissen die Leichen in die Brunnen

und warfen Handgranaten hinterdrein. Wir erschlugen,

was uns in die Hände fiel, wir verbrannten, was brennbar

war. Wir sahen rot, wir hatten nichts mehr von mensch-

lichen Gefühlen im Herzen […] Wir hatten einen Schei-

terhaufen angezündet, da brannte mehr als totes Material,

da brannten unsere Hoffnungen, unsere Sehnsüchte, da

brannten die bürgerlichen Tafeln, die Werte und Gesetze

der zivilisierten Welt […] Wir zogen zurück, prahlend,

berauscht, mit Beute beladen.“

Es folgten der Kapp-Putsch in Berlin und politische

Morde.

30

Prominente Opfer wurden der ehemalige USP-

Politiker Carl Gareis, der sich um illegale Waffenlager

gekümmert hatte, die als „Erfüllungspolitiker“ geschmäh-

ten Politiker Matthias Erzberger und Philipp Scheide-

mann, der deutsche Außenminister Walther Rathenau,

der Publizist Maximilian Harden. Hinzu kamen Morde

an weniger bekannten Personen, oft als Fememorde

gekennzeichnet. Ein Beispiel ist das Münchner Dienst-

mädchen Maria Sandmayer.

31

Mindestens bis 1923/24

dauerte dieser „Nachkrieg“, der über Protagonisten wie

Ernst von Salomon literarischen Niederschlag fand. Mit

diesen Männern ließ sich keine Demokratie aufbauen.

Zu solchen Überzeugungen korrespondierte die Angst

der Bürger, nun ohne Armee schutzlos den „fremden

Mächten“, aber auch der „kommunistischen Bedrohung“

28 Bernhard Sauer: „Auf nach Oberschlesien“. Die Kämpfe der deutschen

Freikorps 1921 in Oberschlesien und den anderen ehemaligen deutschen

Ostprovinzen, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 58 (2010), S.

297–320.

29 Salomon (wie Anm. 26), S.144 f.

30 Sabrow (wie Anm. 17).

31 Ulrike Claudia Hofmann: „Verräter verfallen der Feme!“ Fememorde in

Bayern in den zwanziger Jahren, Köln 2000.