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Der Erste Weltkrieg als Zäsur der Geschichte Bayerns
Einsichten und Perspektiven 4 | 17
aufgesucht hatten, wurden unmittelbar dem Kampfbund
zugeführt. Für viele andere gegenrevolutionäre Kräfte
war zunächst auch die Wohnung von Beppo Römer eine
Anlaufstelle […]. Die Thule wiederum hatte schon sehr
früh Kontakt zu Oberleutnant Kaiser, der damals im
‚Ministerium für militärische Angelegenheiten‘ tätig war.
Er vermittelte uns meist junge Offiziere und andere inter-
essierte Waffenträger, die die Absicht hatten, irgendetwas
gegen die immer stärker werdende kommunistische Agi-
tation zu unternehmen. Man darf auch nicht vergessen,
daß sich viele junge Offiziere, freiwillige Fahnenjunker,
Studenten usw., die in München lebten bzw. nach Mün-
chen zurückgekehrt waren, von ihren Gymnasien oder
Clubs her kannten. Wenn einer etwas erfuhr, wußte auch
sein Freundeskreis in kürzester Zeit Bescheid.“ In anderen
Freikorps fanden sich ehemalige Angehörige bestimmter
militärischer Formationen zusammen. Es setzte sich hier
also Kriegskameradschaft unmittelbar fort. Ein wichtiges
Beispiel dafür ist das „Freikorps Erhardt“, das sich aus der
Marinebrigade von Kapitän Hermann Erhardt gebildet
hatte und später als „Brigade Erhardt“ beziehungsweise
„Organisation Consul“ mit der Zentrale München als
rechte Untergrundorganisation weiterlebte.
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Die Frei-
korpswerber erhielten Geld und falsche Pässe, sie schmug-
gelten mit Wissen des Münchner Polizeipräsidenten Ernst
Pöhner die benötigten Waffen ein und warben Freiwillige
an. Der Krieg konnte, er durfte für diese Männer nicht zu
Ende sein, eine Rückkehr in eine bürgerliche Normalität
schien unmöglich. Dies zeigen die Freikorpsabenteuer im
Baltikum und in Oberschlesien wie auch die Putschversu-
che und politischen Morde.
Als großes Sammelbecken aller militaristischen und
nationalistischen Kräfte erwies sich das Baltikumaben-
teuer. Hier kamen auch diejenigen zum Zuge, die wegen
ihres jugendlichen Alters im Krieg nicht mehr zum Ein-
satz gekommen waren: Ernst von Salomon gehörte dazu
und viele andere.
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Emil Gumbel, Mathematikprofessor
und einer der profiliertesten Kritiker dieser Bewegung,
bezeichnet folgenden Werdegang als charakteristisch für
die Mitglieder dieser Truppen:
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Teil der Jugendwehr
25 Martin Sabrow: Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und
die deutsche Gegenrevolution, Frankfurt am Main 1999.
26 Salomon, der seine Zeit als „Landsknecht“ nach 1945 noch einmal in sei-
nem Buch „Der Fragebogen“ aufgriff, gehört zu den profiliertesten Vertre-
tern dieser Generation. Ernst von Salomon: Die Geächteten, Berlin 1930.
Zu Salomon auch an vielen Stellen des Buches Theweleit (wie Anm. 16),
Bd. 2.
27 Emil Gumbel: Zwei Jahre politischer Mord; ders. (wie Anm. 12).
oder Kadett im Krieg, Einwohnerwehrmitglied, Frei-
korpskämpfer gegen die Räterepublik, Baltikumkämpfer,
Kapp-Putschist, Selbstschutzmann in Oberschlesien
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und
dann Mitglied eines der rechten Geheimbünde. Es bil-
deten sich Armeen, beispielsweise die Eiserne Division,
deren Anwerbung von der deutschen Regierung öffentlich
unterstützt wurde. Für die Teilnehmer erfüllte sich hier
ihre Sehnsucht nach Krieg und Kampf. Das Baltikuma-
benteuer war voll unbegründeter Grausamkeit. Zurück
blieb ein Meer der Verwüstung. Ernst von Salomon:
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„Wir
knallten in überraschte Haufen und tobten und schos-
sen und schlugen und jagten. Wir trieben die Letten wie
Hasen übers Feld und warfen Feuer in jedes Haus und
pulverten jede Brücke zu Staub und knickten jede Tele-
graphenstange. Wir schmissen die Leichen in die Brunnen
und warfen Handgranaten hinterdrein. Wir erschlugen,
was uns in die Hände fiel, wir verbrannten, was brennbar
war. Wir sahen rot, wir hatten nichts mehr von mensch-
lichen Gefühlen im Herzen […] Wir hatten einen Schei-
terhaufen angezündet, da brannte mehr als totes Material,
da brannten unsere Hoffnungen, unsere Sehnsüchte, da
brannten die bürgerlichen Tafeln, die Werte und Gesetze
der zivilisierten Welt […] Wir zogen zurück, prahlend,
berauscht, mit Beute beladen.“
Es folgten der Kapp-Putsch in Berlin und politische
Morde.
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Prominente Opfer wurden der ehemalige USP-
Politiker Carl Gareis, der sich um illegale Waffenlager
gekümmert hatte, die als „Erfüllungspolitiker“ geschmäh-
ten Politiker Matthias Erzberger und Philipp Scheide-
mann, der deutsche Außenminister Walther Rathenau,
der Publizist Maximilian Harden. Hinzu kamen Morde
an weniger bekannten Personen, oft als Fememorde
gekennzeichnet. Ein Beispiel ist das Münchner Dienst-
mädchen Maria Sandmayer.
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Mindestens bis 1923/24
dauerte dieser „Nachkrieg“, der über Protagonisten wie
Ernst von Salomon literarischen Niederschlag fand. Mit
diesen Männern ließ sich keine Demokratie aufbauen.
Zu solchen Überzeugungen korrespondierte die Angst
der Bürger, nun ohne Armee schutzlos den „fremden
Mächten“, aber auch der „kommunistischen Bedrohung“
28 Bernhard Sauer: „Auf nach Oberschlesien“. Die Kämpfe der deutschen
Freikorps 1921 in Oberschlesien und den anderen ehemaligen deutschen
Ostprovinzen, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 58 (2010), S.
297–320.
29 Salomon (wie Anm. 26), S.144 f.
30 Sabrow (wie Anm. 17).
31 Ulrike Claudia Hofmann: „Verräter verfallen der Feme!“ Fememorde in
Bayern in den zwanziger Jahren, Köln 2000.