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Das britische EU-Referendum

Einsichten und Perspektiven 2 | 16

nisation betrachtet wurde, die fundamental im Gegensatz

zu den Werten einer sozialistisch geprägten Innenpolitik

stünde. 

4

Die innerparteiliche Opposition gegenüber der EG

zwang die Regierung Wilson letztendlich dazu, bereits zwei

Jahre nach dem Beitritt ein öffentliches Referendum über

die Mitgliedschaft abzuhalten. Nach der Wahlniederlage

James Callaghans und der Regierungsübernahme Margaret

Thatchers 1979 rückte Labour politisch stark nach links.

Die neue Parteiführung unter Michael Foot positionierte die

Partei in deutlicher Opposition zur weiteren Mitgliedschaft

in der EG. Labour argumentierte nun, dass die Mitglied-

schaft im EG-Binnenmarkt mit der Ausübung souveräner

nationaler Wirtschafts- und Industriepolitik unvereinbar

sei. 

5

Bei der Unterhauswahl 1983 präsentierte die Labour-

Partei ein entschieden linksorientiertes Wahlprogramm, das

unter anderem auch das Versprechen enthielt, bei einem

Wahlsieg unmittelbar Austrittsverhandlungen mit der EG

zu initiieren. Als Begründung dafür wurde die Unvereinbar-

keit radikaler sozialistischer Wirtschafts- und Industriepoli-

tik mit den Grundsätzen des EG-Binnenmarktes genannt. 

6

Im Gegensatz zu Labours Position befürwortete die

Konservative Partei vor Beginn der Ära Thatcher die Mit-

gliedschaft in der EG. Besonders Edward Heath, Thatchers

Vorgänger als Parteiführer, war deutlich pro-europäisch ein-

gestellt und führte Großbritannien als Premierminister am

1. Januar 1973 in die Europäische Gemeinschaft. Heath war

sich der Skepsis der Briten gegenüber den politischen Rah-

menbedingungen der EG, die bereits stark durch Frankreich

und Deutschland geprägt waren, durchaus bewusst. Der

konservative Premier war jedoch davon überzeugt, dass letzt-

endlich die ökonomischen Vorteile des Beitritts überwiegen

würden. 

7

Zudem war Heath persönlich ein leidenschaftli-

cher Europäer, der weit über den europäischen Kontinent

gereist und für den Großbritannien eng mit den europäi-

schen Nachbarn verbunden war: „Wir sind Teil Europas

durch unsere geographische Lage, unsere Geschichte und

unsere Zivilisation.“ 

8

Der relativ späte Beitritt Großbri-

4 Dennis Kavanagh: British Politics. Continuities and Change, Oxford 3.

1996c, S. 74.

5 Richard Heffernan: Beyond Euro-Scepticism? Labour and the European

Union since 1945, in: The Labour Party: A Centenary History, hg. v. Brian

Brivati/Richard Heffernan, 2000, S. 383–401, hier: S. 391.

6 The Labour Party: New Hope for Britain. 1983 General Election Manifesto,

http://www.politicsresources.net/area/uk/man/lab83.htm#Common

[Stand:

06.06.2016].

7 David Gowland and Arthur Turner: Britain and European integration

1945–1998. A documentary history, London/New York 2000, S. 271.

8 Zit. nach Hugo Young: This blessed plot: Britain and Europe from Churchill

to Blair, London/Basingstoke 1999, S. 220.

tanniens im Jahre 1973 begründete sich hauptsächlich mit

dem zweimaligen Veto des französischen Präsidenten De

Gaulle in den 1960er Jahren. De Gaulle wollte Großbri-

tannien nicht als Mitglied der europäischen Gemeinschaft

akzeptieren, weil er zum einen um die schwindende fran-

zösische Vormachtstellung in der EG durch einen wach-

senden anglo-amerikanischen Einfluss nach dem britischen

Beitritt besorgt war. Zum anderen befürchtete De Gaulle,

dass Großbritannien nach dem Beitritt auf eine fundamen-

tale Veränderung der institutionellen und politischen Archi-

tektur der EG in Richtung einer Freihandelszone hinwirken

würde. Der Zeitpunkt des Beitritts war jedoch sowohl aus

politischer, wie auch aus wirtschaftlicher Sicht ungünstig.

Politisch gestaltete sich der Führungsanspruch der Briten

äußerst schwierig, da sich Frankreich und Deutschland

bereits als Führungsduo etabliert hatten. 

9

Zudemmusste die

Regierung Heath auch ungünstige finanzielle Konstellatio-

nen, wie die Nettozahlerrolle Großbritanniens und die für

die britische Landwirtschaft nicht vorteilhafte gemeinsame

Agrarpolitik, akzeptieren. 

10

Doch der Beitritt brachte auch

wirtschaftlich nicht die erwartete positive Wirkung. Zum

Zeitpunkt des britischen Beitritts rutschten die Mitglied-

staaten des EG-Binnenmarktes in der Folge der durch die

politische Instabilität imNahen Osten entstandenen Ölkrise

in die Rezession. 

11

Die britische Wirtschaft, die bereits vor

dem Beitritt deutlich hinter den Wachstumsraten ihrer

kontinentalen Nachbarn lag, geriet innerhalb des Binnen-

marktes folglich in eine negative Sogwirkung, da die rasche

Belebung der Handelsbeziehungen mit den kontinentalen

Nachbarn nicht eintrat. Die durch die Ölkrise verursachte

tiefe Rezession in Großbritannien führte bereits ein Jahr

nach dem Beitritt zur EG zu einem massiven Budgetdefizit

auf der Insel. Der Labour-Schatzkanzler Denis Healy wurde

deshalb praktisch dazu gezwungen, den Internationalen

Währungsfond um einen Milliardenkredit zu bitten, um die

mögliche Insolvenz Großbritanniens abzuwenden. 

12

Diese

Entwicklung trug maßgeblich dazu bei, dass der Premiermi-

nister Heath bei den Unterhauswahlen im März 1974 keine

erneute Mehrheit erringen konnte.

9 Stephen George: An awkward partner. Britain in the European Community,

Oxford

3

1998, S.5.

10 Wolfram Kaiser: Using Europe, Abusing the Europeans. Britain and Euro-

pean Integration 1945–63, Basingstoke 1999, S. 214.

11 David Sanders: Losing an Empire, Finding a Role: British Foreign Policy

since 1945, Hampshire 1990, S. 145.

12 Christian Schweiger: The British Liberal Market Economy: Persistent Path-

Dependency under Crisis Conditions, in: Drifting towards the Exit? Taking

Stock of Britain‘s EU Membership after 40 years, hg. v. Christian Schwei-

ger, Augsburg 2015, S. 126–150, hier S. 129.