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Das britische EU-Referendum

Einsichten und Perspektiven 2 | 16

Margret Thatcher, die Parteiführerin der Tories, bei einer Rede im Vorfeld des

Referendums 1975; rechts Edward Heath

Foto: ullstein bild – Heritage Images/Keystone Archives

Sein Widersacher Harold Wilson (Labour), der das Land

bereits von 1964 bis 1970 regiert hatte, übernahm erneut

das Amt des Premierministers auf der Basis einer Minder-

heitsregierung. Labour hatte im Wahlkampf versprochen,

nach der Regierungsübernahme die EG-Mitgliedschaft

Großbritanniens neu zu verhandeln. Bereits im Okto-

ber 1974 wurde eine weitere Unterhauswahl abgehalten,

da weder Labour noch die Konservativen eine Regierung

mit den Liberalen und den schottischen Nationalisten bil-

den konnten. Labour gewann die Wahl knapp mit einer

Mehrheit von drei Sitzen im Unterhaus. In ihrem Wahl-

programm hatte die Partei angekündigt, nach dem Wahl-

sieg eine Volksabstimmung zur Zukunft der EG-Mitglied-

schaft Großbritanniens abzuhalten. Dies führte zum ersten

Referendum im Juni 1975, vor dem die Regierung Wilson

noch die Bedingungen der EG-Mitgliedschaft neu verhan-

delte. Erzielt wurde dabei unter anderem eine flexiblere

Handhabung der gemeinsamen Agrarpolitik, geringere

britische Beiträge zum EG-Haushalt, keine automatische

Teilnahme an einer europäischen Währungsunion, die

Öffnung der EG-Außenhandelsbeziehung gegenüber den

Commonwealth-Staaten. Die Regierung Wilson betonte

auch die Notwendigkeit enger Handels- und Sicherheits-

beziehungen zwischen der EG und den Vereinigten Staa-

ten. Großbritanniens Partner in der EG gingen unter

Druck auf diese britischen Forderungen ein: Die britische

Regierung beabsichtigte nämlich, im Falle des Scheiterns

der Neuverhandlungen der britischen Öffentlichkeit zu

empfehlen, im Referendum für den Austritt aus der EG zu

stimmen. Auf Druck des deutschen Bundeskanzlers Hel-

mut Schmidt wurden Großbritannien gegen anfänglichen

französischen Widerstand schließlich die Konzessionen

im Bereich der EG-Haushaltsbeiträge und der Erweite-

rung der Außenhandelsbeziehungen der EG gewährt. 

13

Auf dieser Basis warb die Regierung bei den Wählern für

den Verbleib in der EG. Die deutliche öffentliche Unter-

stützung für die Fortsetzung der Mitgliedschaft konnte

jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die grundle-

gende Skepsis gegenüber der institutionellen politischen

Zusammenarbeit innerhalb der EG bestehen blieb. Das

Referendum zog keine führungsorientierte Europapolitik

Großbritanniens nach sich. Stattdessen blieb das Land

ein zögerlicher und schwieriger Partner, der sich stets am

Rande der Gemeinschaft positionierte und nicht nur jegli-

chen Idealismus gegenüber der Vertiefung der politischen

Zusammenarbeit vermissen ließ, sondern diese auch häu-

fig zu blockieren versuchte. 

14

Dies zeigte sich nicht nur in

der zunehmenden Europaskepsis der Labour-Partei unter

den Regierungen Wilson und Callaghan, sondern vor

allem im grundlegenden Wandel der britischen Europapo-

litik unter der konservativen Premierministerin Margaret

Thatcher ab 1979. Als konservative Parteivorsitzende und

Oppositionsführerin zwischen 1975 und 1979 hatte sich

Thatcher noch als Verfechterin der Mitgliedschaft Groß-

britanniens in der EG eingesetzt, wie auch im Referendum

1975. Als Premierministerin wuchs ihre Skepsis gegenüber

der Europäischen Gemeinschaft zunehmend, die sie jetzt

hauptsächlich als das Projekt einer vor allem von Deutsch-

land und Frankreich vorangetriebenen kontinentaleuropä-

ischen Föderation betrachtete. Noch 1986 hatte Thatcher

gemeinsam mit Kommissionspräsident Jacques Delors,

dem französischen Staatspräsidenten François Mitterrand

und dem westdeutschen Bundeskanzler Helmut Kohl an

der Vorbereitung der Einheitlichen Europäischen Akte

(EEA) gearbeitet. Die EEA trieb zwar einerseits deutlich

die von Thatcher favorisierten Marktliberalisierung voran,

andererseits bereitete das Abkommen auch denWeg für die

deutliche politische Vertiefung der Gemeinschaft im Rah-

men des nachfolgenden Maastrichter Vertrages und der

Gründung der Europäischen Union. Thatcher lehnte letz-

tere deutlich ab und machte aus ihrer Enttäuschung über

13 Vaugne Miller: The 1974–75 UK Renegotation of EEC Membership and

Referendum, 13.07.2015, London: House of Commons, S. 19, http://re-

searchbriefings.files.parliament.uk/documents/CBP-7253/CBP-7253.pdf

[Stand: 06.07.2016].

14 John W. Young: Britain and European Unity 1945–1999, Basingstoke 2000,

S. 198.