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Von der Perestroika zur Katastroika, Teil 2
Einsichten und Perspektiven 2 | 16
als unbedachte Folge der hemmungslosen sozialistischen
Raub- und Verschwendungsökonomie. Hitzige Debatten
gab es sowohl über die unmäßigen Privilegien der Partei-
Nomenklatura und ihre entwickelte Korruptionskultur als
auch über das erschreckende Ausmaß der Armut. Sozio-
logische Studien kamen zum Ergebnis, dass Anfang 1990
schon ein Drittel aller Sowjetbürger an oder unter der
Armutsgrenze lebten. Im Oktober 1991 waren es schließ-
lich schon mehr als die Hälfte.
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Zur „Demontage der Gegenwart“
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trugen außerdem
die erschütternden Medienberichte über den desolaten
Zustand des Gesundheitswesens sowie die explosionsartige
Zunahme sozialer Übel wie Kriminalität, Drogensucht
und Prostitution bei, die es laut sowjetischer Propaganda
9 Corinna Kuhr-Korolev: Gerechtigkeit und Herrschaft. Von der Sowjetunion
zum neuen Russland, Paderborn 2015 93–142; dies.: Gerechtigkeit oder
Gleichmacherei? Die Debatte um die Privilegien der sowjetischen Partei-
elite 1986–1991, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary
History, Online-Ausgabe, 10 (2013), H. 2, URL:
http://www.zeithistorische-
forschungen.de/2-2013/id=4572, Druckausgabe: S. 264–282.
10 Gerd u. Nadja Simon: Verfall und Untergang des sowjetischen Imperiums,
München 1993, S. 49–54.
eigentlich nur im Kapitalismus geben sollte. Der Sozialis-
mus hätte die „moralische Degradation“ heraufbeschworen.
Diese Zerstörung des Mythos von der sozialen Gleichheit,
Gerechtigkeit und Sicherheit ließ das Selbstverständnis
der Sowjetgesellschaft verdampfen.
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Gesellschaftliche Schockwellen gingen ferner von der
schonungslosen Berichterstattung über das sowjetische
Militär aus. Die sowjetischen Medien beschrieben den blu-
tigen Einsatz der Roten Armee in Afghanistan seit 1987
nicht mehr als „Akt der internationalen Solidarität“, son-
dern mit allen seinen Grausamkeiten als asymmetrischen
Krieg. In diesem „Sovietnam“ kam es an allen Fronten zu
massenhaften Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zehn-
tausende von sowjetischen Soldaten wurden in verplomb-
ten Zinksärgen in die Heimat zurückgebracht und ohne
größere militärische Ehren begraben. Die überlebenden
Afghanistan-Kämpfer hatte das brutale Kriegsgeschehen
oftmals traumatisiert. Ohne angemessene medizinische Be-
11 Leon Aron: Roads to the Temple. Truth, Memory, Ideas, and Ideals in the
Making of the Russian Revolution, 1987–1991, New Haven/London 2012,
S. 112–150.
Zwangsarbeiter beim Bau des Fergana-Kanals, Usbekistan 1939
Foto: ullsteinbild/keystone