Hitlers
Mein Kampf
– Perspektiven für die historisch-politische Bildungsarbeit
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Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 16
Mein Kampf
als
autobiografische Schrift
„Hitler stand vor dem Nichts, als er 1924 an
Mein Kampf
zu schreiben begann.“
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Er befand sich nämlich in einer
schier aussichtslosen Lage. Nach dem kläglichen Scheitern
des Putsches in München und seiner Verurteilung schien
trotz der milden Strafe seine politische Karriere zu Ende.
Diese war sein Lebensinhalt, nachdem er sich ohne Schul-
abschluss in Wien eher schlecht als recht durchgeschlagen
hatte. Zwar ging es ihm aufgrund einer Waisenrente und
einer Erbschaft nicht wirklich schlecht, doch hatten sich
seineTräume, Künstler zu werden, zerschlagen, als er in der
Wiener Akademie abgelehnt worden war. Erst nach dem
Ersten Weltkrieg wurde er politisch aktiv und zunächst in
München und Bayern schnell zu einem beachteten Agita-
tor der völkischen Bewegung. Diese politische Karriere,
zu der er spät gefunden hatte, schien plötzlich zu Ende zu
sein. Die Zeit in der Landsberger Haft, in der Hitler ein
komfortables Leben führte, ermöglichte ihm somit eine
„Selbstfindung“, indem er sein bisheriges Leben und seine
politischen Überzeugungen, von denen noch die Rede
sein wird, zu Papier brachte. Dabei konnte Hitler seinen
ursprünglichen Lebensplan, Künstler bzw. Baumeister zu
werden, nicht verwirklichen und war gezwungen, sich
einen neuen Lebensentwurf zuzulegen. Seine politische
Weltanschauung hatte dabei laut Andreas Wirsching die
Funktion, seine persönliche und politische Authentizität
zu bekräftigen.
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„Im Elternhaus“ – der Beginn von
Mein Kampf
Wie sehr bei ihm Persönliches und Politisches miteinan-
der verwoben waren, zeigt sich schon zu Beginn seines
Buches. Das erste Kapitel „Im Elternhaus“ beginnt so:
„Als glückliche Bestimmung gilt es mir heute, daß das
Schicksal mir zum Geburtsort gerade Braunau am Inn
zuwies. Liegt doch dieses Städtchen an der Grenze jener
zwei deutschen Staaten, deren Wiedervereinigung min-
destens uns Jüngeren als eine mit allen Mitteln durch-
zuführende Lebensaufgabe erscheint!“
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Auffallend ist
dabei, dass Hitler seinen Geburtsort politisch funktiona-
lisiert, indem er daraus eine „Bestimmung“ ableitet. Es
42 Hartmann u.a. (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 25. Welchen „Entwurf einer Lebens-
geschichte“
Mein Kampf
bietet, wird ebd., S. 30–34, erläutert.
43 Vgl. Andreas Wirsching: Hitlers Authentizität. Eine funktionalistische
Deutung, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 64 (2016), S. 387-417.
44 Es handelt sich um den Beginn von
Mein Kampf.
geht nicht um die Person Adolf Hitler, sondern um den
vom Schicksal auserwählten politischen „Führer“. Dazu
passt auch der an der Bibel orientierte „Sprachduktus“,
auf den der Kommentar der kritischen Edition hinweist.
Diese Zuspitzung der persönlichen Biografie auf den
politischen Werdegang führt zu einer ausschweifenden
Darstellung seiner Weltanschauung, deren Glaubwür-
digkeit durch die eigenen Lebenserfahrungen beglaubigt
werden soll. So „finden sich bereits in den ersten 200
Worten sämtliche Kernelemente von Hitlers politischer
Philosophie“.
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Typisch für Lebensbeschreibungen ist die „autobiogra-
fische Illusion“ (Pierre Bourdieu), das heißt die nachträg-
liche Stilisierung des eigenen Lebensweges, indem man-
ches einseitig dargestellt oder ganz weggelassen, manches
ausgeschmückt oder gar hinzuerfunden wird. Gleichwohl
ist Hitlers Lebensbeschreibung von Interesse, da es wenige
Informationen über seine frühen Jahre gibt und er auch
später sorgsam darauf bedacht war, die Informationen
über seine Herkunft zu kontrollieren. Seine Angaben sind
mit Vorsicht zu genießen und kritisch zu hinterfragen.
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Die kritische Edition ist hierfür vorzüglich geeignet, da
Hitlers Text mit den Kommentaren unmittelbar vergli-
chen werden kann.
Die folgenden Beispiele zeigen, dass Hitler zum einen
eine unzutreffende Darstellung seiner Meldung als Kriegs-
freiwilliger gibt, sich zum anderen zum begeisterten und
tapferen Soldaten stilisiert, mithin zum Kriegshelden.
Schließlich führt er seinen Antisemitismus auf die Erfah-
rungen in Wien zurück, was, wie der Kommentar zeigt,
zumindest eine rückblickende Stilisierung ist. Hitler prä-
sentiert sich in
Mein Kampf
publikumswirksam als früh
gefestigter und unbeirrbarer politischer „Führer“.
45 Gregor (wie Anm. 40), hier S. 3.
46 Kershaw (wie Anm. 18), S. 22, verweist auf das „schwarze Loch des Privat-
manns Hitler“; Brigitte Hamann: Hitlers Wien. Lehrjahre einer Diktators,
München 1998, S. 8, spricht von einer „desolaten Quellenlage“.