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Hitlers
Mein Kampf
– Perspektiven für die historisch-politische Bildungsarbeit
31
Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 16
Mein Kampf
– die „Bibel der
Bewegung“
Eine Karikatur der Satirezeitschrift
Simplicissimus
aus
dem Jahr 1925 zeigt Hitler, wie er seine Publikationen –
eine Sammlung von Reden und
Mein Kampf
– in einem
Wirtshaus verkaufen will. „Gestern noch auf stolzen
Rossen …“ (einem Zitat aus dem Gedicht „Reiters Mor-
genlied“ von Wilhelm Hauff) ist diese Zeichnung über-
schrieben und zeigt den politischen Fall des Putschisten,
der nun auf entwürdigende Weise zum Straßenverkauf
seiner Ideen gezwungen ist.
Im selben Jahrgang der Zeitschrift findet sich folgen-
des Spottgedicht: „Mit seinen Lebensmemoiren/gedacht
er, nach Walhall zu fahren/Der Schluß des Lieds:/sie wer-
den, weil es nicht gekleckert/demnächst um Billiges ver-
hökert/bei Hermann Tietz.“
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Hitlers Buch war zunächst
also kein durchschlagender Erfolg, was sich auch an den
Auflagenzahlen ablesen lässt, die in den 1920er-Jahren
zunächst überschaubar blieben. Nach dem gescheiterten
Putsch und der Stabilisierung der Weimarer Republik war
die NSDAP eine kleine unbedeutende Partei, die in den
Wahlen nur schlechte Ergebnisse erzielte (etwa 1928 nur
2,6 Prozent) und ihr gescheiterter und vorbestrafter Füh-
rer war für die Öffentlichkeit wenig interessant. Allerdings
konnte die NSDAP, in der sich Hitler als unumstrittener
Partei-Führer durchsetzen konnte, ihre Mitgliederzahl
kontinuierlich steigern. Innerhalb der zersplitterten völki-
schen Szene, ja sogar innerhalb der nationalsozialistischen
Bewegung war er nur einer von vielen Autoren. So machte
sich Alfred Rosenberg Hoffnung, mit seinem Buch „Der
Mythus des 20. Jahrhunderts“ zum Chefideologen der
NSDAP aufzusteigen. Erst 1930 stieg im Zuge der Wahl-
erfolge der NSDAP die Auflagenzahl von
Mein Kampf
deutlich an und erreichte bis zur Ernennung Hitlers zum
Reichskanzler immerhin über 200.000 Exemplare.
Daran ist erkennbar, dass
Mein Kampf
vor allem in der
Endphase der Weimarer Republik gekauft und gelesen
wurde. Dabei ist zu bedenken, dass man – nicht zuletzt
durch die intensive Propagandatätigkeit der NSDAP, ins-
besondere während der 1932 sich häufenden Wahlkämpfe
(Reichstagswahlen und Reichspräsidentenwahl) – über
Hitlers Ziele Bescheid wissen konnte, ohne das ganze
Buch gelesen zu haben. Eine von Othmar Plöckinger her-
47 Simplicissimus 30 (1925), H. 37, S. 545. Mit „Hermann Tietz“ ist das Kauf-
haus „Hertie“ gemeint.
ausgegebene Sammlung von zeitgenössischen Rezensio-
nen sowie Analysen und Interpretationen offenbart, wie
breit Hitlers Schrift rezipiert wurde.
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Die von den ameri-
kanischen Besatzungsbehörden durchgeführten Umfragen
ergaben im März 1946, dass 23 Prozent und im Novem-
ber 1947 19 Prozent der Erwachsenen zumindest Auszüge
von
Mein Kampf
gelesen hatten.
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Der Rückgang erklärt
sich möglicherweise aus der wachsenden zeitlichen Dis-
tanz und der beginnenden Verleugnung der eigenen Ver-
strickung. Dabei ist zu bedenken, dass die überwiegende
Mehrheit der Befragten eine nähere Kenntnis des inkri-
minierten Buches leugnete. Gleichwohl lässt sich vermu-
ten: „In fast zwei Dritteln der 1939 rund 21 Millionen
Haushalte Deutschlands lebte also jemand, der wenigstens
etwas ausführlicher in Hitlers Buch hineingeschaut hatte.
Dem entsprach ungefähr die nachweislich gedruckte
Gesamtauflage von 12,4 Millionen Exemplaren. Ein
‚ungelesener Bestseller‘ war
Mein Kampf
, allen anders-
lautenden späteren Schutzbehauptungen zum Trotz, mit
Sicherheit nicht.“
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Mein Kampf
als „Herrschaftssymbol“ und
Propagandainstrument
Galt Hitlers Buch schon vor 1933 als „Bibel der Bewe-
gung“, gleichsam als die programmatische Schrift der
NSDAP, erfolgte nach der Machtübernahme die Stilisie-
rung zum „Herrschaftssymbol“ und zum „Herrschafts-
instrument“. Die Auflagenzahlen zeigen im Jahr 1933
einen steilen Anstieg, der angesichts des politischen Auf-
stiegs Hitlers zum Reichskanzler wenig verwunderlich
ist, ebenso wenig verwunderlich wie das Absinken 1934,
als anscheinend viele Interessenten sich das Buch bereits
zugelegt hatten. Im Folgenden wurde der Verkauf des
Buches öffentlich gefördert, indem z.B. die Gemeinden
aufgefordert wurden, Brautpaaren ein Exemplar zu schen-
ken, was allerdings nicht überall befolgt wurde. Darüber
hinaus wurde, etwa mit Werbeaufstellern, immer wieder
auf das Buch öffentlich hingewiesen.
Und Zitate aus
Mein Kampf
begegneten allenthal-
ben – als Wochenlosungen, in Reden und Erklärungen
von Nationalsozialisten, als Motto in vielen amtlichen
Schriftstücken. So wurde 1936 z.B. in einer Bekanntma-
chung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht
48 Plöckinger (wie Anm. 37).
49 Anna J. u. Richard L. Merritt (Hg.): Public Opinion in Occupied Germany.
The OMGUS Surveys 1945–1949, S. 70f., 199.
50 Sven Felix Kellerhoff: „Mein Kampf“. Die Karriere eines deutschen Buches,
Stuttgart 2015, S. 229; vgl. Plöckinger (wie Anm. 21), S. 203–403.