|33 |
aviso 1 | 2017
NISCHEN IM FOKUS
:
COLLOQUIUM
Dr. Serafine Lindemann
engagiert sich seit 1989 als selbst-
ständige Kuratorin für ein internationales und experimentelles
Kunst- und Kulturprogramm mit den Themenkomplexen Wasser,
kulturelle Identitäten und gesellschaftliche Wandlungspro-
zesse. 2009 Gründungsmitglied des Vereins pilotraum01. Seit
2014 Mitarbeit bei der WasserStiftung.
Zum Weiterlesen
www.artcircolo.de www.imzentrum.eu www.pilotraum01.org www.wasserstiftung.de /www.aqualonis.dePersönliche Engagements ohne Schlagzeilen
Zu den versteckten Kleinodien in unserer Gesellschaft zählen
zweifelsohne die vielen couragierten Initiativen und Projekte,
die, ohne große Schlagzeilen zu produzieren, nachhaltig für
verbesserte Lebensqualität und für das Funktionieren unse
res sensiblen Ökosystems sorgen.
WERFEN WIR BEISPIELSWEISE
ein Licht auf die Wasser-
Stiftung und ihr Team, in dem sich engagierte Menschen
zusammengefunden haben, die bei aller Unterschiedlichkeit
eine Vision eint: Zu einem lebenswerten Dasein, auf das alle
Menschen gleichermaßen einen Anspruch haben, gehören
die Versorgung mit Wasser, ein einfacher Zugang zu Trink-
wasser sowie der Erhalt der biologischen Vielfalt und nach-
haltiger Klimaschutz. Mit Brunnen, Quellfassungen, Esel-
verteilungen, sanitären Versorgungen, Bildungsmaßnahmen
und Nebelfängern trägt die kleine, in Ebenhausen ansässige
Stiftung nicht nur zur Verbesserung der Lebensbedingungen
insgesamt bei – in zwei Einsatzgebieten, Äthiopien und Eri-
trea, bekämpft sie mit solchen Engagements möglicherweise
auch Fluchtursachen.
Zu ihren herausragenden Projekten zur Trinkwassergewin-
nung zählen die Entwicklung und der Einsatz des CloudFisher.
Inspiriert durch den sogenannten Kopfstandkäfer, der mit
seiner eigenen Körperoberfläche Wasser aus den vom Atlan-
tik in die Wüste ziehenden Nebelschwaden gewinnt, entwar-
fen Forscher dreidimensionale Textilflächen aus Kunststoff
fasern. Zwischen zwei imBoden verankerte sechs Meter hohe
Stangen gespannt fangen sie den Nebel auf und lassen die
Wassertröpfchen über Auffangrinnen in Zisternen laufen.
Nebelfänger werden seit Jahren für die Trinkwasserversor-
gung eingesetzt. Im Auftrag der WasserStiftung und ange-
trieben von persönlicher Überzeugung und Schaffenskraft
gelang es aber demMünchner Industriedesigner Peter Traut-
wein, das System technisch weitreichend zu verbessern und
denWasserertrag deutlich zu erhöhen. Nach der zweijährigen
erfolgreichen Testphase im Antiatlas-Gebirge in Marokko,
die von der Technischen Universität München unterstützt
wurde, wird in dem Gebiet nun auf 1590 m
2
weltweit der
ertragreichste Nebelkollektorpark mit dem CloudFisher
errichtet, der laut Trautwein »Vorbildcharakter für andere
wasserarme Regionen auf der ganzen Welt haben soll«.
BIS 2018 KÖNNEN
insgesamt 14 Dörfer imAntiatlasgebirge
mit sauberem Trinkwasser aus Nebel versorgt werden –
begleitet von Bildungsmaßnahmen, die vor allemFrauen und
deren Kindern zugutekommen. Die betroffene Region grenzt
an die Sahara und zählt wegen ihres semiariden Klimas zu den
trockensten GebietenMarokkos. Hier leben indigene Berber
Gruppen von Subsistenzwirtschaft: Bienenzucht, vereinzelt
Weizenanbau, Gerste, Ziegen, Hühner. Zur Verbesserung der
Lebensumstände versuchen die Männer in der Stadt Arbeit zu
finden. In Folge werden über viele Monate im Jahr die Dörfer
nur von Frauen, ihren Kindern und altenMenschen bewohnt.
Die Verbesserung der Nutzwasser- und Trinkwasserversor-
gung ist dringend notwendig. Das Regenwasser, das in kleinen
Hauszisternen aufgefangen wird, dient der Viehtränke und
zum Kochen. Doch reicht es oft nicht aus, und täglich müs-
sen lange Wegstrecken von Mädchen und Frauen bis ins Tal
zurückgelegt werden, um dort kommunales Brunnenwasser
zu kaufen. Die neue CloudFisher-Anlage liefert für ca. 660
Frauen, Kinder und alte Menschen und für eine Schule Trink-
wasser sowieWasser für den landwirtschaftlichen Anbau und
ca. 7000 Nutztiere. Das gewonnene Nebelwasser hat Trink-
wasserqualität nachWHO-Standard. Vier Zisternen amBerg
garantieren die Wasserversorgung bis weit in die Trocken-
zeit. Dank der Nebelkollektoren können bis 18 l Wasser pro
Tag pro Familienmitglied konstant zur Verfügung stehen.
Wofür die Familie das Wasser verwendet, das sie nicht für den
Hausbedarf braucht, bleibt ihr überlassen: für die Viehtränke
oder für die Bewässerung von kleinen Anbauflächen. Durch
die verbesserte Wassersituation und der damit verbundenen
neuen Erwerbsmöglichkeiten kehren einige Männer bereits
wieder zurück in ihre Dörfer.
WELCHES FAZIT ZIEHEN
wir aus dem Querschnitt von
Beispielen, die die Bedeutung von Handeln abseits des Main-
streams beschreiben? Konkrete Lösungen für große Pro-
bleme können durch genaue Beobachtung vonMikrobereichen
oder auch in Nischen gefunden oder zumindest erprobt wer-
den. Kunst, Wissenschaft und Technologie sind Felder, deren
Grenzen längst aufgehoben sind und in denen Beobachtung
und Experiment wesentliche Methoden sind. Hier, jen-
seits der Schlagzeilen, finden Pionierleistungen statt, die zu
gesellschaftlichen Innovationen und Lebensqualität führen.
Freilich bedarf es Mut, sich der Einfühlung und Entschleu-
nigung zu bedienen.
© Peter Trautwein | WasserStiftung