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Israel: Start-ups, Siedler und „smarte Pazifisten“

Einsichten und Perspektiven 3 | 17

einen Christbaum ins Wohnzimmer stellte und sich darü-

ber wunderte, dass ein Rabbiner auf Besuch davon keines-

falls begeistert war,

21

für das Selbstverständnis des Staates

höchstens eine symbolische und vor allem Privatsache sein

und keinesfalls die Staatsgeschicke beeinflussen.

22

Die herausgehobene Rolle der jüdischen Religion in

Israel ist nicht nur ein Problem für Säkulare, sondern

insbesondere auch für die arabische Minderheit von

immerhin einem Fünftel der Bevölkerung, die darin

eine Keimzelle von Diskriminierung sieht. Sie stoßen

sich beispielsweise am sogenannten „Rückkehrrecht“, das

das geltende Einwanderungsgesetz vor dem Hintergrund

der jahrhundertelangen Ausgrenzungserfahrung der

Diaspora-Juden und deren schrecklichem Kulminations-

punkt, dem Holocaust, weltweit allen Juden in den Staat

Israel gewährt, während den palästinensischen Flüchtlin-

gen und ihren Nachkommen ein solches nicht eingeräumt

wird. Traut man den Zahlen des Israelischen Demokratie-

Instituts, das alljährlich einen Demokratie-Index erstellt,

hat die gesellschaftliche Diskriminierung der arabischen

21 Das irritierte Gesicht des Rabbiners kommentierte Herzl in seinem Tage-

buch amüsiert mit den Worten „[M]einetwegen soll’s der Chanukabaum

heißen – oder die Sonnenwende des Winters?“ Vgl. dazu die Episode bei

Michael Brenner: Israel. Traum und Wirklichkeit des jüdischen Staates.

Von Theodor Herzl bis heute, München 2016, S. 37 f.

22 Vgl. Brenner (wie Anm. 21), S. 61 ff.

Israelis im Laufe der Zeit tatsächlich drastisch zugenom-

men: Eine satte Mehrheit der jüdischen Bevölkerung fin-

det demnach, dass politische Entscheidungen in Sicher-

heitsfragen, aber auch im sozialen und ökonomischen

Bereich besser von einer ausschließlich jüdischen Mehr-

heit getroffen werden sollten;

23

eine demokratische Bank-

rotterklärung. Mehr als die Hälfte der Befragten sprechen

sich außerdem dafür aus, denjenigen das Wahlrecht zu

entziehen, die nicht darin übereinstimmen, dass Israel der

„Staat des jüdischen Volkes“ ist. Aus historischen Grün-

den ist dies die Grundlage der israelischen Verfassung,

welche allerdings mehr als drei Viertel der arabischen Isra-

elis infrage stellen. Die Angst vor einer arabischen Mehr-

heitsgesellschaft, die das Judentum in Israel am liebsten

als kurzen Abschnitt im Geschichtsbuch sehen würde,

ist groß. Daraus ergibt sich ein Dilemma: Mehr als die

Hälfte der jüdischen Israelis räumt in derselben Umfrage

ein, dass die arabischen Staatsbürger in Israel diskrimi-

niert werden; ein anderer, demokratischerer Umgang mit

der tiefgreifenden Existenzangst erscheint vielen jedoch

offenbar unmöglich.

23 Hier und die folgenden Zahlen vgl. Israeli Democracy Index 2016, S. 8 f.

https://en.idi.org.il/media/7839/democracy-index-2016-abs-eng.pdf

[Stand: 20.09.2017].

David Ben Gurion proklamiert die

Gründung des Staates Israel in Tel

Aviv, 1948.

Foto: ullstein bild/TopFoto