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Israel: Start-ups, Siedler und „smarte Pazifisten“

Einsichten und Perspektiven 3 | 17

ten hinsichtlich des Nahostkonflikts nicht klarer hervor-

tritt, bleibt ein friedliches Nebeneinander-Existieren eines

jüdischen und eines palästinensischen Staates mit hoher

Wahrscheinlichkeit Utopie.

In erster Linie ist dieser Befund eine hoffnungslose

Nicht-Perspektive, denn die Alternative zur Zweistaaten-

lösung ist nichts anderes als der Status Quo. Eine „Ein-

Staat-zwei-Völker-Lösung“ nämlich, also eine Integration

des palästinensischen Gebietes in den israelischen Staat,

würde die Identität Israels als „jüdische Demokratie“

zwangsläufig zerstören, egal welche der Definitionen

man heranzieht.26 Israel müsste entweder den arabisch-

palästinensischen Bürgern grundlegende politische Rechte

vorenthalten – aus demokratischer Sicht schwer denkbar.

Oder aber es verlöre seinen jüdischen Charakter nach und

nach dadurch, dass die Mehrheit der wählenden Bevöl-

kerung einer anderen Religion angehören würde. Daran

könnten auch die ultraorthodoxen Juden mit ihrer hohen

Geburtenrate nichts ändern. Ein Drittel der israelischen

Kinder wachsen mittlerweile im ultraorthodoxen Milieu

26 Immer wieder wird zwar auch eine sogenannte „Dreistaatenlösung“ dis-

kutiert – das Westjordanland würde ein Teil Jordaniens, der Gazastreifen

ägyptisches Staatsgebiet. Da weder Kairo noch Amman Interesse an

dieser Idee zeigen, ist sie jedoch kaum zu verwirklichen. Das Haschemiti-

sche Königshaus fürchtet eine Entmachtung durch die Palästinenser, die

seit den Fluchtbewegungen infolge des Nahostkonflikts bereits ohnehin

eine riesige Bevölkerungsgruppe im Reich stellen. Die säkulare ägypti-

sche Militärdiktatur unter Sisi wiederum wird sich hüten, das

Hamas

-

Problem zu importieren.

auf, bei Familienfeiern rollen nicht selten Busse an. Doch

auch die Geburtenrate der Palästinenserinnen und der

Araberinnen mit israelischem Pass ist hoch – ein gemein-

samer Staat würde langfristig die jüdisch-israelische Bevöl-

kerung wahrscheinlich zu einer Minderheit machen.

27

Wegen des Rechtsrucks der israelischen Regierung, die

eine Aufgabe des Westjordanlandes aus militärisch-strate-

gischen Gesichtspunkten für unmöglich hält

28

, und weil

die Alternative zur Zweistaatenlösung keine Alternative

ist, wird die Besatzung des Palästinensergebietes vorerst

bestehen bleiben. Zweieinhalb Generationen nun wurden

in dieser „Situation“ sozialisiert; sie ist in ihrer Feindselig-

keit und Brutalität auf beiden Seiten des Konflikts mitt-

lerweile zur Normalität geworden. Geschaffen hat sie der

„Sechstagekrieg“ von 1967, der von den Palästinensern

„Juni-Krieg“ genannt wird – in diesem Jahr jährte sich

das Ereignis zum fünfzigsten Mal. Für die Palästinenser

bedeutete der Krieg eine Wiederauflage der

Nakba

, der

„Katastrophe“, wie die Vertreibung der arabischen Bevöl-

kerung im Jahre 1948 im Zuge der Staatsgründung Israels

und der Kriegserklärung der arabischen Staaten genannt

wird. Was der Triumph im Krieg von 1967 dagegen für

die kollektiv traumatisierte Bevölkerung Israels bedeutete,

lässt sich am besten an einem Ort begreifen, der einem das

Blut in den Adern gefrieren lässt.

Trauma eines Volkes

Ein Felsen markiert den Eingang, auf ihm befinden sich

mehrere weiße Stelen. Sie sind unterschiedlich hoch und

doch haben sie etwas gemeinsam: Sie sind abgebrochen.

Es ist das vielleicht anrührendste Mahnmal der Welt: Das

„Denkmal für die Kinder“ auf demGelände der nationalen

Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem erinnert an die ein-

einhalb Millionen Kinder und Jugendliche, die der

Shoah

,

zum Opfer gefallen sind. Betritt man die Halle unterhalb

des Felsens, ist es zunächst so dunkel, dass man die eigene

Hand vor Augen nicht sieht. Der Besucher muss sich an

einem Geländer festhalten, das durch das Denkmal führt.

Er nimmt nach und nach eine leise, dunkle Stimme wahr

und ein spärliches, flackerndes Licht. Nur fünf Kerzen

brennen im Hauptraum, doch werden sie millionenfach

reflektiert, denn der Raum ist komplett verspiegelt. Die

Stimme liest alle bekannten Namen der Ermordeten,

27 Die genauen Zahlen vgl. das World Factbook der CIA (wie Anm. 3 und 10).

28 Das Westjordanland dient Israel gewissermaßen als Puffergebiet zu den

arabischen Nachbarn: Die Verteidigungsfähigkeit im möglichen Kriegsfall

würde sich zwangsläufig verschlechtern, wenn die Grenzen der israeli-

schen Militärkontrolle näher an das eigene Staatsgebiet heranrücken.

Kinder von orthodoxen Juden in Jerusalem