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„With human beings you never know“
Einsichten und Perspektiven 3 | 16
ger Muster der Wahrnehmung und Einschätzung afrikani-
scher Wirklichkeiten ansatzweise nachvollziehen. So schrieb
beispielsweise der Afrikakenner Bartholomäus Grill später
von jenem beschämenden Missverständnis, den Konflikt als
„Stammesauseinandersetzung“ eingeschätzt zu haben.
18
Nur mit großer Erschütterung kann man heute die
Erinnerungen des Generalmajors und damaligen Kom-
mandeurs der Blauhelmtruppen in Ruanda, Romeo Dal-
laire, lesen.
19
Er belegt die Mitschuld des Westens und
betont, dass nur einem Blinden und einem Analphabeten
entgehen hätte können, was damals in Ruanda geschah.
Erschütternd sind jene Erzählungen und Berichte, die
zeigen, dass man ohne großen Aufwand Tausenden das
Leben hätte retten können. Die Tragödien werden nicht
nur von Romeo Dallaire, sondern auch von anderen
Augenzeugenberichten bestätigt, so beispielsweise in dem
dokumentarischen Spielfilm
„Shooting Dogs“
(zu Deutsch
„Hunde erschießen“; im Fernsehen als „Mord unter Zeu-
gen“ gesendet). Der Film schildert die Situation in den
ersten Tagen des Völkermordes an der weiterführenden
Schule der Salesianer in Kigali, die belgischen UN-Sol-
daten als Basis diente. Er beschreibt das Zusammenrotten
der Hutu-Milizen, der
Interahamwe
, die Beteiligung der
Regierung Ruandas am Völkermord und die Untätigkeit
der Blauhelmsoldaten bis zu deren erzwungenem Abzug.
Dieser machte den Hutu-Banden schließlich den Weg
frei, rund 2.500 Menschen zu ermorden, die sich unter
dem Schutz der Blauhelme versammelt hatten.
Ein weiterer dokumentarischer Spielfilm hat das Versa-
gen der internationalen Gemeinschaft deutlich dargestellt:
„Hotel Ruanda“. Der Film erzählt die auf einer wahren
Begebenheit beruhende Geschichte des heute weiterhin
bestehenden Luxushotels
„Hotel des Mille Collines“
in
Kigali. Im Mittelpunkt des Films steht der Hotelmana-
ger Paul Rusesabagina, der die Leitung des Vier-Sterne-
Hotels nach Abreise des belgischen Hoteldirektors über-
nimmt. Es gelingt ihm, seine Familie und Freunde vor
Hutu-Rebellen zu retten, indem er den Anführer mit Geld
besticht und mit den Mördern verhandelt. Schließlich
gewährt Paul mehr als 1.200 Flüchtlingen den Zutritt in
das internationale Hotel, was ihm später die Bezeichnung
„Oskar Schindler Afrikas“ eingebracht hat.
18 Der Hinweis bei Rau (wie Anm. 9), eine ausführliche Selbstreflexion liefert
Bartholomäus Grill in einigen Berichten für den Spiegel bzw. spiegel on-
line, bspw. Bartholomäus Grill, Im Gefängnis des gestern, in: Der Spiegel
vom 31.3.2014, hier S. 56–60.
19 Vgl.: Romeo Dallaire: Handschlag mit dem Teufel. Die Mitschuld der Welt-
gemeinschaft am Völkermord in Ruanda, Springe 2005.
In seiner Autobiographie schildert er noch klarer, wie sehr
die Blauhelmsoldaten bis auf wenige Ausnahmen ihrer
Rolle nicht gerecht wurden oder gerecht werden durften
und wie sehr der spätere Generalsekretär der Vereinten
Nationen Kofi Annan seine Blauhelme schützte. Er zeigt,
wie gezielt der Begriff „Völkermord“ auch auf Geheiß
des damaligen amerikanischen Präsidenten Bill Clinton
vermieden wurde, um ein dadurch nötiges Eingreifen zu
vermeiden, und zieht Parallelen zu anderen Völkermorden
des 20. Jahrhunderts.
20
Erinnerungsarbeit und Modernisierung
Mathias Sendegeya sitzt unserer Gruppe aus Deutschland
gegenüber und erzählt seine Geschichte. Der heute 56-Jäh-
rige blickt dabei immer wieder unruhig umher und vermei-
det, uns in die Augen zu schauen. Denn auch wenn er seine
Geschichte schon des Öfteren erzählt hat, sie bleibt verstö-
rend.
21
Als junger Mann folgt er mit einer Gruppe Gleich-
gesinnter dem Aufruf der lokalen Autoritäten, dem Land zu
helfen und von Tutsi zu säubern. Er löscht eine ganze Tutsi-
Familie mit der Machete aus. Er erschlägt die Frau und die
fünf Kinder des örtlichen Priesters, den er gut kannte. Nach
20 Vgl.: Paul Rusesabagina: Ein gewöhnlicher Mensch. Die wahre Geschichte
hinter ‚Hotel Ruanda‘, Berlin 2006. Die Autobiographie entstand unter
Mithilfe des New Yorker Journalisten Tom Zoellner.
21 Die Begegnung unserer Gruppe aus Nürnberg erfolgte im Juli 2016. Ein
anderer Bericht über den Besuch eines Versöhnungsdorfes findet sich bei
Andrea Jeska: Mit dem Mörder Tür an Tür, in: Zeit Online vom 24. März
2014
(http://www.zeit.de/gesellschaft/2014-03/ruanda-hutu-tutsi-geno-zid) [Stand: 21.09.2016]; vgl. auch
https://www.welt.de/geschichte/artic-le126452097/Macheten-und-Sensen-Bilder-vom-Ruanda-Genozid.html
[Stand: 19.09.2016].
Eine Auszubildende im Förderungsprojekt im Kinazi Sector für minderjährige
Mütter des Vereines Cecup e.V.