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„With human beings you never know“
Einsichten und Perspektiven 3 | 16
dem Genozid wird er inhaftiert und verbüßt eine Strafe von
knapp zehn Jahren. Neben ihm sitzt Jeannette Mukabya-
gaju. Die heute 35-Jährige war damals dreizehn Jahre alt, als
die Hutu-Bande kam und ihre Eltern mitsamt Bruder und
Schwester mit der Machete zerhackten, während sie sich in
der Kloake, der Toilette, versteckte. Jeannette Mukabyagaju
und Mathias Sendegeya sind heute direkte Nachbarn in
Mbyo, einem sogenannten
„reconciliation village“
(„Versöh-
nungsdorf“) im Mayange Sector, der zum Bugesera District
in der Ostprovinz des Landes gehört.
Der Generalsekretär und Verwaltungschef des Mayange
Sector, Francis Nkurunziza, hatte das Gespräch vermittelt
und erklärt, dass es viele derartige Versöhnungsdörfer in
der Umgebung gebe. Denn die Bugesera-Region war ganz
besonders vom Genozid betroffen: Rund 200.000 Men-
schen wurden in den 100 Tagen des Genozid getötet. Nach
der Generalamnestie 2003 kamen Hutu- und Tutsi-Ver-
treter zusammen, um nach vielen Gesprächen und damit
erfolgten Annäherungen, neue Dörfer gemeinsam aufzu-
bauen. Heute leben sie hier zusammen und Mathias betont,
dass er dankbar sei für die neue Chance, dass ihm vergeben
worden sei. Jeannette wünschte sich für ihre eigenen vier
Kinder eine friedliche Zukunft, in der niemals der Genozid
geleugnet, sondern an ihn erinnert werde. Sie sei gerne eine
Botschafterin für den Versöhnungsprozess in Ruanda.
„Heute“, das hören wir als Gäste nicht nur von diesen
beiden Nachbarn im Versöhnungsdorf, sondern bei jedem
Gespräch, auch bei jeder Nachfrage – „Heute sind wir nur
noch Ruander.“ Natürlich ist die Ethnifizierung in keinem
Pass mehr vermerkt, aber der oftmals trotzig vorgetragene
Slogan „Wir sind keine Hutu und Tutsi, sondern nur
Ruander“ lässt uns erahnen, wie unter dem Pragmatismus
des nötigen Zusammenlebens und Organisierens des All-
tags die alten Wunden nicht verheilt und viele schmerz-
hafte Erinnerungen unter der Oberfläche schlummern.
Dies zeigte sich auch bei der gemeinsamen Tagung
der Akademie CPH mit den Kooperationspartnern in
Ruanda: Es gibt noch viele Tabus, viele offene Fragen,
auch wenn beeindruckend viel geleistet wurde an Versöh-
nungsarbeit in den zurückliegenden 22 Jahren. Verständ-
licherweise dominiert ein Pragmatismus des Überlebens,
des Meistern-Müssens der konkreten Not in diesem Land,
das weiterhin im internationalen Vergleich zum schlech-
testen Drittel aller Länder gehört, wenn es um Armut,
Gesundheitsversorgung, etc. geht.
22
22 Die Daten zum
Human Development Index
unter
http://hdr.undp.org/en/countries oder bspw. aufbereitet unter
http://www.laenderdaten.de[Stand: 21.09.2016].
Der Jesuit Jean Baptiste Ganza SJ, der als einziger seiner
Familie den Genozid überlebte, da er während dieser Zeit
in Rom studierte, verweist deshalb auch offen darauf, dass
man auf dem Weg zu einer tragfähigen Versöhnung mit
Wahrheitsfindung noch unterwegs sei.
23
Zwischen den Zeilen ist zu erkennen, dass die zivilge-
sellschaftlichen Akteure als aktive Gestalter einer demo-
kratischen Gesellschaft ebenfalls noch einen weiten Weg
vor sich haben. Die Berichte von
Amnesty International
legen beredt Zeugnis davon ab, dass es der afrikanische
„Musterknabe Ruanda“, der es mit seiner Entwicklung
eilig hat, mit Menschenrechten nicht so ernst nimmt.
Ruanda
„in a hurry“
– ein Land hat es eilig
Als unsere deutsche Gruppe von Vital Migabo,
Executive
Secretary
des Kinazi District, in seinem Büro empfangen
wird, sehen wir im Vorbeigehen am Schwarzen Brett einen
Aushang der fünf Entwicklungsleitsätze: An erster Stelle
steht, jeder habe die Zeit in den Blick zu nehmen, das
Land hat es eilig voranzukommen.
24
Der Sekretär und auch seine Vorgesetzte Christine Niwe-
mugeni bestätigen uns, dass das ganze Land auf Effizienz
getrimmt wird – ein Vorgehen, das Präsident Paul Kagame
bis auf die kommunalen Ebenen hinab verfolgt. Jeder der
23 Seine Beschreibung ist ausführlicher nachzulesen in: Jean Baptiste Ganza
S. J.: The Principle Of Integral Reconciliation: Beyond Political Arrange-
ments in Rwanda, Lambert 2013.
24 Im Wortlaut:
National Values to promote progress to Vision 2020: 1. Speed
and respect for time: A country in hurry. 2. Customer service mentality:
Constant improvement and anticipation. 3. Quality of delivery: High stand-
ards, spirit of excellence, efficiency. 4. Completion – towards results: We
finish what we start. 5. Self respect: National pride.
Die Regierung gibt Entwicklungsleitlinien vor und vereinbart Zielvereinba-
rungen mit den Distriktverwaltungen.