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torischen Schlachten dargestellt, in historischem
Kostüm und Gerät. Der optische Effekt aber war
der gleiche. Es waren barocke Fürstenfeste. Letzte
Nachwirkungen solcher Kriegsspiele zeigen sich
noch heute in den Altstadtspielen aus dem späten
19. Jahrhundert in den kleinen früheren Reichs-
städten wie Rothenburg o. T. oder Dinkelsbühl mit
den so beliebten und touristisch erfolgreichen Sze-
nen aus dem 30jährigen Krieg. Ja sogar der inzwi-
schen voll in den Bereich des Sports abgewanderte
Marathonlauf hat seit 1896 seinen Ursprung in
der Evokation einer antiken Schlachtendarstellung.
Lehrereignis oder Folklore?
Das Kriegspielen hat also eine lange Tradition. Es
entspricht einem Bedürfnis des Menschen oder
mancher Menschengruppen nach einem abenteu-
erlichen Handeln, das die Fantasie beflügelt. Heute,
jenseits aller fürstlicher Kriegs-Lustbarkeiten, spielt
die breite Öffentlichkeit solche Schlachten nach.
Man nennt es »Reenactment«, also das Nachstel-
len historischer Ereignisse, meist Schlachten, mit
originalgetreuen Uniformen und Waffen bzw. de-
ren Nachbildungen. Man sagt, dies sei »living histo-
ry«. Oder ist es nur Kriegspielen wie bei Kindern?
Typisch ist es, dass solche Spiele die Uniformen fast
immer in der Art zeigen, wie sie auch auf den meis-
ten in fürstlichem Auftrag erstellten Schlachten
gemälden zu sehen sind, also in glänzendem Para-
deeindruck und blitzblankemWaffenschimmer. Die
Realität von Schlamm, Schmutz und Blut wird nur
selten mit dargestellt. Es ist also eine beschränkte
Sehweise, im Gemälde wie beim »Reenactment«.
So seien einige
der jetzt aktuellen und in den
Medien beachteten »Reenactments« vorgestellt: Zu
ihrem inhaltlichen Kontext gehören mit Sicherheit
schon manche im universitären Raum vorgestellte
spielerische Vergegenwärtigungen althistorischer
Befunde, die unter dem Stichwort »experimentelle
Archäologie« firmieren. Auch der Versuch einer sze-
nischen Nachempfindung der Schlacht von Gam-
melsdorf in der Hallertau 1313, wo ein bayerisches
Ritterheer die Österreicher besiegt hatte, gehört ins
Reich spekulativer Verbildlichung bayerischer Stär-
ke. Am 20. Oktober 2013 wurden, wie schon vorher
bisweilen, in Leipzig unter großer Anteilnahme des
Publikums Szenen und Schlachtenszenen aus der
Völkerschlacht von 1813 zum 200. Jahrestag vor-
geführt, mit akribisch genauemDetail an Kostüm
und Ausrüstung. Beliebt sind auch in Übersee sol-
che Darstellungen, zur Erinnerung an Schlachten
und Ereignisse aus dem amerikanischen Bürger-
krieg ab 1861, vor allem natürlich die Schlacht von
Gettysburg. Besonders gepflegt werden Schlach-
tenspiele in Polen. Die Nachstellung der Schlacht
von Grunwald (oder auf deutsch: Tannenberg) 1410 mit dem
Sieg der vereinigten polnischen und litauischen Heere gegen
den Deutschen Orden zieht jährlich viel Publikum an, aber
auch Ereignisse aus dem alten Preußen, wie Kunersdorf 1759
oder Leuthen 1757. Beide Schlachten Friedrichs des Großen
werden heute ohne Mühe vor Ort von polnischen Darstellern
nachgespielt. In Polen wird auch das sog. »Wunder an der
Weichsel« vom 15. August 1920 gegen die Rote Armee nach-
gespielt. In Russland ist es natürlich die berühmte Schlacht
von Borodino 1812 gegen Napoleon, die zum 200-jährigen
Jubiläum szenisch begangen wurde. In dieser Form werden
auch szenisch wiederbelebt Austerlitz (1805), Großbeeren bei
Berlin (1813), die Schlacht an der Göhrde 1813 bei Lüneburg
und natürlich jährlich immer wieder die Schlacht vonWaterloo
1815, seit Jahren mit großem Zuspruch des Publikums. Das
letzte Ereignis dieser Art waren in Bayern die vielfachen
Erinnerungen samt Schlachtendarstellung der berühmten
Schlacht von Eggmühl 1809, wissenschaftlich fundiert
begleitet von Ausstellungen und Vorträgen.
Ein kleines privates Spiel dieser Art, gleichsam »en familie«,
überliefert Theodor Fontane. Sein Vater ließ ihn gerne mit
pädagogischemEifer das Appellzeremoniell der französischen
Armee spielerisch nachvollziehen, mit dem des berühmten,
bereits erwähnten »Premier Grenadier« Napoleons gedacht
wurde, der 1800 bei Neuburg/Donau gefallen war. Als per-
sönliche Erinnerung von 1801 überliefert dies auch Justinus
Kerner aus seiner Jugendzeit in Ludwigsburg. Es wird auch
evoziert von Thomas Mann, in einem Dankbrief nach Paris,
nach der Verleihung des französischen Kreuzes der Ehren-
legion 1952.
Bezeichnend ist, dass
im europäischen Raum mehr-
heitlich friderizianische oder napoleonische Ereignisse das
Publikumsinteresse anziehen. Andere Epochen werden eher
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Quintensprünge
Resultate
oben links
200 Jahre Schlacht bei Eggmühl – hier mit »österreichischen Soldaten«.
darunter
Nachspielen der Schlacht bei Marathon.
darunter
Naumachia im römischen Colosseum, Illustration von G. Nispi-Landi von 1913.
darunter
Färbexperimente von Reenactor Vano für das »Infanterieregiment von Forcade«.
oben rechts
Reenactment der Schlacht von Gettysburg 2008.
darunter
Reproduktion der Gasmaske M15 »Zeppelinmaske«, kommentiert im »Reenactor-
forum für alle« von Benutzer Tjaden: »Liebe Kameraden, ich möchte heute das Thema
Repro Gasmasken aufgreifen. Und Euch zur fröhlichen Diskussionsrunde animieren. Es
gibt vielleicht bald eine neue Repro M15 Maske. Ist in unseren Reihen überhaupt
noch Bedarf für Gasschutz vorhanden? Oder sind alle Kameraden versorgt? Wenn
ja - seid Ihr zufrieden mit Euren Repros? Zeigt Eure besten Masken Fotos von der Front!
Gruß Tjaden«.
© fillpics in panoramio | Malcolm Brabant | www.laputanlogic.com/images/2005/04/07-10CC50JS200.jpeg | Vano, www.reenactorforum.waxzmann.de
Wikimedia Commons Daniel Schwen | Benutzer Tjaden vom Reenactorforum für alle www.google.de/#q=reenacterforum+f%C3%BCr+alle