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aviso 2 | 2014
QUINTENSPRÜNGE
WERKSTATT
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Dr. Hilke Thode-Arora
ist Ethnologin und Stipendia-
tin der Fritz Thyssen Stiftung am Staatlichen
Museum für Völkerkunde München. Sie kuratierte
die Ausstellung »From Samoa with Love? Samoa-
Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine
Spurensuche«, die aus einem mehrjährigen For-
schungsprojekt zu den Marquardt- und Tamasese-
Sammlungen des Museums hervorging. Anhand von
Archivstudien an den europäischen Gastspielorten
der Völkerschauen sowie in Neuseeland und Samoa
rekonstruierte sie Geschichte und Verlauf der
Samoa-Völkerschauen. In detektivischer Kleinarbeit
gelang es ihr, den Namen jedes einzelnen Samoa-
ners, der zwischen 1895 und 1911 Deutschland mit
einer Völkerschau besuchte, herauszufinden. Auf
dieser Grundlage konnte sie eine Reihe von Nachfah-
ren ausfindig machen und zu Familientraditionen
und Dokumenten über die Deutschlandreisen ihrer
Vorfahren befragen.
Im Auftrag verschiedener völkerkundlicher Museen
führten ausgiebige ethnologische Feldforschun-
gen zu unterschiedlichen Themenschwerpunkten sie
wiederholt in die Südsee. Sie ist die Autorin
mehrerer Bücher und zahlreicher Aufsätze zu Völker-
schauen und zu Sammlungen aus dem Pazifik,
u. a. »Für fünfzig Pfennig um die Welt. Die Hagen-
beckschen Völkerschauen«, »Tapa und Tiki«. Ihr
aus dem Forschungsprojekt hervorgegangenes Buch
ist als Begleitpublikation zur Ausstellung heraus-
gekommen und trägt denselben Titel wie sie.
Die
Ausstellung »From Samoa With Love?«
im
Staatlichen Museum für Völkerkunde München läuft
noch bis zum 5. Oktober 2014.
schiedliche Häuptlingsfraktionen; die samoani-
schen matai versuchten ihrerseits, die Europäer
für ihre Zwecke zu manipulieren. Dies führte zu
einer instabilen politischen Situation mit häufig
wechselnden Allianzen und blutigen Konflikten.
Ergebnis waren Kolonialverträge, die Samoa in den
1890er Jahren unter eine Dreimächteregierung und
den westlichen Teil der Inselgruppe schließlich von
1899 bis 1914 unter deutsche Verwaltung stellten.
Es war in dieser Situation, dass der auf Samoa an-
sässige Fritz Marquardt und sein in Berlin lebender
Bruder Carl Samoa-Völkerschauen organisierten.
»Marzipanpüppchen mit Chocoladenüberzug«
Mit zweiundzwanzig Frauen und nur vier Män-
nern standen bei der Schau von 1895 bis 1897 die
laut Plakat angekündigten »samoanischen Mäd-
chenschönheiten« im Mittelpunkt. Musik, Tanz
und Kampfszenen, Bootfahren, Erklettern einer
Palme zum Herabholen der Kokosnüsse, sowie
die Demonstration der in Samoa sehr wichtigen
Kawazeremonie mit dem rituellen Kredenzen des
Kawa-Getränks gehörten zu den Vorführungen für
das Publikum. Schon am ersten Gastspielort Ber-
lin war der Erfolg überwältigend, vor allem bei der
Männerwelt. Von »Marzipanpüppchen mit Choco-
ladenüberzug« schwärmte ein Journalist. Hinter
den Kulissen gab es indes viel Unruhe. Fai Atanoa,
die nach Ansicht der Veranstalter schönste Samoa­
nerin, wurde ausersehen, die Kawazeremonie zu lei-
ten. Da sich sehr viel hochrangigere Frauen unter
den Samoanern befanden, denen diese Ehre eigent-
lich zugestanden hätte, wurde Fai angefeindet und
bedroht. Schließlich setzte ein Brief des höchsten
matai aus Samoa der Sache ein Ende: Regelmä-
ßige Korrespondenz während der Völkerschauen
ist belegt, so dass man in Samoa stets sehr genau
über die Vorgänge in Deutschland informiert war.
Zwischen den
Marquardts und dem Berliner
Veranstalter kam es darüber hinaus zu einem auch
gerichtlich geführten Schlagabtausch, in dem beide
Seiten sich unmenschliche Behandlung der Samoa­
ner vorwarfen. Zudem brannten einige Frauen
mit deutschen Verehrern durch und konnten erst
Tage später von den Marquardts zur Rückkehr
bewegt werden.
»Unsere neuen Landsleute«
Die Schau von 1900/1901 stand unter ganz ande-
ren Vorzeichen. Westsamoa war 1899 zum deut-
schen Schutzgebiet erklärt worden. Entsprechend
kündigten die Marquardts ihre Schau unter dem
Titel »Unsere neuen Landsleute« an. Dieses Mal
verpflichteten sie einen matai mit bedeutendem
Joachim Ringelnatz himmelte schon als Gymna-
siast die Samoanerinnen an und verewigte einige
von ihnen Jahre später in einer Erzählung, die seine
Hauptperson zum Münchner Oktoberfest führt,
wo sie schwärmt: »Ach, die von Samoa!«. Theo-
dor Adorno bemerkte in seinen musiktheoretischen
Schriften Jahrzehnte nach seinem Völkerschau-
besuch, dass die Samoaner früher auf den Köp-
fen erschlagener Feinde getrommelt hätten – eine
völlig aus der Luft gegriffene Idee. Und Karl May
behauptete sogar, ein – möglicherweise von den
BrüdernMarquardt erworbener – Rindenbaststoff
auf seinem Schreibtisch sei Teil einer Decke, die
ihm Winnetous Schwester gearbeitet habe.
Für die meisten
Künstler wie auch für viele
weniger prominente Besucher dienten die Samoa-
ner so als Projektionsflächen für ihre eigenen Sehn-
süchte, Ängste und Fantasien von Gegenwelten
zum eigenen Leben. An der realen Lebenswirklich-
keit dieser Besucher vom anderen Ende der Welt
waren die wenigsten interessiert. Für die meisten
Samoaner waren die Motive für Völkerschaureisen
hingegen eine Mischung aus Abenteuerlust und –
im Fall der hochrangigen matai – von politischem
Kalkül. Heute erinnert werden in Samoa vor allem
letztere und die damit verbundenen, als ehrenvoll
erachteten Treffen mit gekrönten Häuptern.
links
Prinzregent Luitpold (mit weißem Bart) wohnt der
Vorführung der Samoaner-Schau bei.
darunter
Eine Karikatur aus dem Jahr 1885 in der Zeit-
schrift »Fliegende Blätter«.
Titel für die Schau, dem die anderen Samoaner gehorchten:
Te’o Tuvale hatte schon mehrere Positionen in der Kolonial-
verwaltung der Dreimächteregierung innegehabt; ihm war
sowohl die samoanische als auch die europäische Denkweise
vertraut. Im gerade beendeten Konflikt um eine für ganz
Samoa wichtige Häuptlingsnachfolge hatte er auf Seiten des
Verlierers gekämpft, und es kam ihm gelegen, Samoa für eine
Weile zu verlassen. Dank seines eigenen Rangs erwartete Te’o,
hohe deutsche Würdenträger der neuen Kolonialmacht zu
treffen und reiste entsprechend ausgerüstet mit wertvollen
Geschenken – und zu Recht! In München, wo die Schau in
Hammers Panoptikum gastierte, wurden die Samoaner von
Prinzregent Luitpold und der königlichen Familie besucht.
Die weitgereiste Prinzessin Therese von Bayern vermerkte
später, der Aufenthalt von Samoanern in München habe sie
zu völkerkundlichen Studien angeregt. In Berlin empfing der
Kaiser die Samoaner, und es kam zu einem Austausch von
Geschenken. Eines davon, eine goldene Taschenuhr, graviert
mit Te’o Tuvales Namen, befindet sich heute noch im Besitz
von Te’os Nachfahren.
Ein diplomatischer Besuch?
Seit 1901 war die Anwerbung von Völkerschauen aus deut-
schen Kolonien verboten. Dass es 1910/11 dennoch zu einer
weiteren Samoa-Schau kam, hatte politische Gründe.
Erneut stand die Nachfolge auf einen der höchsten matai-Titel
in Samoa an. Der aussichtsreichste Kandidat, der selbstbe-
wusste und konfliktfreudige hohe Häuptling Tamasese, war
dem deutschen Gouverneur indes ein Dorn im Auge. Um
ihn eine Weile von Samoa fernzuhalten, wurde eine Ausnah-
megenehmigung erteilt und Tamasese die Reise als diplo­
matischer Besuch verkauft. Tamasese durchschaute dieses
Manöver gleich nach der Ankunft in Deutschland und ergriff
über alte deutsch-samoanische Kontakte sofort Gegenmaß-
nahmen. So wurden ihm bessere Unterbringung und eine
wenigstens in Ansätzen seinem Status entsprechende würdi-
gere Behandlung zuteil: Es gab Soupers zu seinen Ehren, und
er hielt politische Reden. Der Kaiser empfing ihn in seinem
Schloss. Dennoch befand sich dieser Besuch in einer proble-
matischen Grauzone zwischen Schaugeschäft und Staatsbe-
such. Dies wird etwa daran deutlich, dass die Schau auf dem
Münchner Oktoberfest gastierte. Dort besuchten Prinzregent
Luitpold, Prinz Ludwig und andere Wittelsbacher Tamasese
und seine Familie. Tamasese erhielt einen kostbaren Ring und
eine Medaille. Seine Gegengeschenke, Rindenbaststoffe und
Objekte der Kawazeremonie, gehören heute zur Sammlung
des Museums für Völkerkunde München.
»Ach, die von Samoa!«
Die Samoa-Schauen hinterließen großen Eindruck bei den
Besuchern. Auch Künstler und Schriftsteller kommentier-
ten sie oder ließen sich von ihnen gar zu eigenen Werken
inspirieren. Nathaniel Sichel porträtierte die schöne Fai. Mit-
glieder der Künstlergemeinschaft Brücke schufen Stiche, die
unmittelbar unter dem Eindruck des Besuchs standen.
©
Sammlung Volker Adler (Aufmacherbild Karikatur »Samoa ist unser«) | Universitätsbibliothek Heidelberg
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