aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 44-45

aviso 2 | 2014
Quintensprünge
Resultate
|44|
Text:
Manfred F. Fischer
Es war ein
grauer Oktobertag 1995, an dem ich,
von einer Fachtagung inWeimar kommend, auf der
Landstraße über die wellige Hochebene westlich
des Saaletales nach Nordosten fahrend, eigentlich
nur das Tagesziel, nämlich das Kloster Schulpforta
sowie die Stadt Naumburg im Kopf hatte. Ein wei-
ter Fernblick minderte die Aufmerksamkeit für das
Näherliegende. Nach dem Durchfahren eines klei-
nen Dorfes tauchten plötzlich neben der Straße im
GrabenMenschen in buntemGewand auf, die sich
in Gruppen bewegten. Beim näheren Hinsehen
konnte man erkennen: Es waren Uniformierte mit
Waffen und Fahnen, in Kostüm und Ausstattung
seltsam aus der Zeit gefallen erscheinend. Plötzlich
blitzte die Erinnerung auf: Das Dorf soeben hatte
Auerstedt geheißen. So wurde mir klar: Du bist hier
in einem Zeitfenster. Was man hier sah, gehörte
zumNachspielen der berühmten, für Preußen einst
so schmachvollen Schlacht von Jena und Auerstedt
gegen Napoleon von 1806. Plötzlich sprach die
Gegend eine dichtere, von vielen Zeichen und
Erinnerungen geprägte Sprache. Das historische
Schlachtfeld, auf dem einst Geschichte geschrie-
ben worden war, zeigte auch nach fast 200 Jahren
noch für den Aufmerksamen Bedenkenswertes. Das Seltsamste war für
den Historiker die Frage, weshalb neben dem Setzen von Denkmälern
und Erinnerungszeichen, neben dem Erforschen und Beschreiben der
geschichtlichen Begebnisse auch eine heutige Generation das Bedürf-
nis zur theatermäßig nachspielenden Vergegenwärtigung von schreckli-
chen oder aus anderemBlickwinkel gesehen glorreichen Ereignissen hat.
Soldatenspiele als Vergegenwärtigung
So ergreifend an Orten bekannter Schlachten der Vergangenheit oft die
Formen des Gedenkens und der Trauer sein mögen, so überzeugend die
gestaltende Hand des Menschen dort angemessene Räume geformt hat, so
versöhnend auch später die Natur sich der blutgetränkten Erde angenom­
men habenmag, desto bedenkenswerter sind die immer wieder auftreten-
den Vergegenwärtigungen des einst dort Geschehenen imSpiel. Warum
also »spielen«Menschen so oft und so gerne Krieg und Kriegsszenen nach,
als Spiel und Experiment, als Vorführung? Was verführt sie zu solchem
Handeln, das doch negative Ereignisse und Erinnerungen wiederholt?
Ist es eine besondere Form der Bewältigung von Angst und negativen
Erfahrungen? Bei Kindern kann man es oft sehen, wenn sie Ritter- oder
Indianerspiele vorführen. Sie bauen so möglicherweise Aggressionen ab.
Doch auch in der Welt der Erwachsenen bleibt das Phänomen des erin-
nernden, spielerischenWiederholens, das so zeitecht wie möglich sein soll,
authentisch also, wie ein Theaterstück, und vor allem amhistorischen Ort.
|45 |
Solches Evozieren
historischer Ereignisse, die man als etwas
Besonderes wieder ins Bewusstsein heben will, hat eine lange Tradition.
Es ist nicht erst ein Phänomen der heutigen Generation. Blicken wir
also zurück: Schon bald nach der für Europa so wichtigen Schlacht von
Pavia 1525, bei der Kaiser Karl V. den französischen König besiegt hatte,
wurde z. B. der Ort des Ereignisses, das Schlachtfeld nördlich der Stadt,
zumObjekt neugieriger Schlachtenbummler. Reisende Adelige wollten
sich an Ort und Stelle ein eigenes Bild machen und erkundeten das
Gelände. Der Anblick des historischen Schlachtfeldes faszinierte sie. Vol-
ler Beispiele dieser Art ist die napoleonische Zeit und ihre Verarbeitung
im kollektiven Gedächtnis. Der bayerische General Fürst Wrede ließ im
Jahre 1807 bei dem an Napoleons Seite geführten Feldzug in Schlesien
seine Soldaten, gleichsam als Einstimmung auf erwartete Heldentaten
und als Stimulans, auf dem alten Schlachtfeld bei Leuthen als Übung
und Spiel den einstigen Sieg Friedrichs des Großen nachstellen. Napo-
leon selbst hatte schon 1805, als er erstmals bayerischen Boden betrat,
die bekannten Schlachtfelder des Dreißigjährigen Krieges bei Nörd-
lingen inspiziert; 1809 besichtigte er beim Durchzug natürlich auch
das nahe Gefechtsfeld bei Oberhausen westlich von Neuburg/Donau,
auf dem im Jahre 1800 der »Erste Grenadier Frankreichs«, Théophile
Malo Coret de la Tour d’Auvergne im Kampf gegen bayerische und
österreichische Truppen den Tod gefunden hatte und wo seitdem bereits
ein sarkophagähnliches Ehrengrab auf demHügel bestand. Schon 1808
hatte der Kaiser beim Erfurter Fürstenkongress den Anwesenden das
Schlachtfeld von Jena gezeigt, wo damals zu seinen
Ehren ein ephemerer Ruhmestempel prangte. Es
war Stolz und Drohgebärde zugleich.
Als Napoleons Stern
1815 in der Schlacht
vonWaterloo endgültig gesunken war und man am
Ort des Geschehens einen gewaltigen Hügel mit
einem Löwendenkmal errichtete, kamen Schlach-
tenbummler aus aller Welt dorthin. Ihrem Hang
nach dinglicher Erinnerung, nach einem Souvenir,
nach Devotionalien, gleichsam Kontaktreliquien,
fiel unendliche Originalsubstanz zum Opfer. Es
entstand ein regelrechter Schlachtfeldtourismus,
der die schon von Goethe beschriebene Besich-
tigungsneugier von Mainz im Jahre 1793 in den
Schatten stellte. Auch später dann, nach den Sie-
gen der deutschen Truppen 1870/71 in den Kämp-
fen imElsaß, setzte dorthin ein ähnlicher Schlach-
tentourismus ein.
Aber auch ohne konkreten lokalen oder histo-
rischen Bezug hatte das Spiel mit historischem
Militärwesen Konjunktur. Die ältesten Beispiele
sind wohl mit den antiken Naumachien, also nach-
gestellten Seeschlachten in antiken Amphitheatern,
überliefert. Als im Jahre 1530 Kaiser Karl V. zum
Reichstag nach Augsburg zog, wurde ihm vom
bayerischen Herzog Wilhelm IV. in München vor-
her ein großer Empfang geboten. Zu den Festlich-
keiten gehörte auch eine in einer bildlichen Dar-
stellung überlieferte grandiose Beschießung einer
eigens am Ostufer der Isar errichteten hölzernen
Burganlage durch Kanonen. Herzog Ernst August
I. von Sachsen-Weimar (reg. 1728-48) plante im
Saaletal gegenüber den Dornburger Schlössern
im Jahre 1732 eine Heerschau nach dem Vorbild
des berühmten Zeithainer Heerlagers Augusts des
Starken, das 1730 stattgefunden hatte. Diese Trup-
penschau mit Kriegsspiel bei Riesa galt damals als
das größte Spektakel dieser Art in Europa. Sie war
eine militärische Großveranstaltung, auf einem
weitläufigen Exerzier- und Manövergelände, mit
ca. 30000 Teilnehmern und mit vielen epheme-
ren Bauten. Sie wurde bildlich dokumentiert. Der
König von Preußen mit seinem Sohn Friedrich
hatte teilgenommen. Hier wurden also keine his-
aviso 2 | 2014
QUINTENSPRÜNGE
RESULTATE
Krieg spielen
Warum Menschen Schlachten nachstellen
links
Ein maltesischer Reenactor feuert seine Muskete
auf den »französischen Feind« der Napoleonischen Armee
(2012).
daneben
Soldaten-Darsteller vor dem Wald von
Hougoumont während des Reenactments 2011 der
Schlacht von Waterloo 1815.
©
Reuters/Darrin Zammit Lupi | Myrabella / Wikimedia Commons / CC-BY-SA-3.0
1...,24-25,26-27,28-29,30-31,32-33,34-35,36-37,38-39,40-41,42-43 46-47,48-49,50-51,52
Powered by FlippingBook