aviso 2 | 2014
QUINTENSPRÜNGE
Colloquium
aviso 2 | 2014
QUINTENSPRÜNGE
Colloquium
|30|
|31 |
Als die Gesellschaft
noch liberal war, galt nicht bloß: »Die Gedanken sind frei«. Man
ertrug auch, dass sie geäußert wurden. Die Eigenheit des Anderen zu bejahen,
ist Programm der offenen Gesellschaft. Sie hatte immer schon ihre Feinde. Der
unselige Radikalenerlass, der für die Tätigkeit im öffentlichen Dienst ein
Bekenntnis zur »FDGO« verlangte, war Gesinnungsschnüffelei. Dass der Kom-
munist kein Briefträger sein sollte, diente weder integrer Postzustellung noch der
Schein-Integrität der deutschen Staatsbediensteten (dort saßen ganz andere!).
Immer schon ging es um Umerziehung: Nicht des einen verstockten Kommunis-
ten, sondern all der anderen. Einschüchterung des nivellierten Mittelmenschen;
bestrafe einen, erziehe alle.
Krude Reaktion auf krude Gedanken
Diese verkrüppelte Haltung ist wieder da, frisch wie eh und je. Nur stehen die
Feinde der offenen Gesellschaft anderswo – für manche überraschend, indes
erwartbar im linken »Gutmenschen«-Lager. Wieder geht es umMeinungskontrolle
und wieder sind die Gesinnungskontrolleure letztlich armselig-miefige Blockwarte.
Wahre und vermeintliche Rechtsaktivisten sollen keinen Job kriegen, nicht als
Arbeitnehmer und nicht als Selbständiger. Wer falsche, indes erlaubte Kleidung
trägt und damit ein gefühltes »Nazi-Zeichen« zeigt, darf Reichstag und andere
Orte nicht betreten. Wer den falschen Freund hat, darf nicht rudern, sondern
muss das olympische Lager verlassen. Wer krude Thesen in der Universität, im
Brecht-Ensemble und anderswo vortragen will, der muss damit leben, dass eine
selbstbewusste Linke solche »kackscheiße« verhindert, Veranstaltungen platzen
lässt und damit das Recht zur öffentlichen Rede jenen vorbehält, die ohnehin
recht haben. Wirklich peinlich ist das vor allem für die deutschen Universitäten,
die – hast du nicht gesehen – vor jedem Protest einknicken und Veranstaltungen
absetzen, wenn die Saalbesetzung droht.
Das ist keine
deutsche Eigenheit. Brendan Eich, der »neue« Vorstandsvorsitzende
von mozilla, einem Software-Unternehmen, wurde gerade dafür abgestraft, dass er
2008 eine Gesetzesinitiative gegen die Homo-Ehe in Kalifornien mit einer Geld-
spende unterstützt hat. Der Witz: Das Gesetz kam zustande, wurde aber von ei-
nem Bundesgericht 2012 für verfassungswidrig erklärt. Homophob soll das sein –
wenn man eine traditionelle Meinung von verschiedengeschlechtlicher Ehe hat
und diese Auffassung politisch unterstützt. Homophob ist also die normative Ver-
gangenheit aller westlicher Staaten. Homophob sind jene Kirchen, die an der Ver-
schiedengeschlechtlichkeit der Ehe festhalten. Abgestraft wird Eich dafür, dass er
seine Verfassungsrechte wahrgenommen hat. Und abgestraft wird er, indem sein
Arbeitgeber boykottiert wird – damit er seine Anstellung verliert. Das kann man
als freies Spiel der Kräfte bejahen – oder heftig kritisieren, weil auf politische Mei-
nungsäußerung nicht die Gegenrede folgt, sondern die abstrafende Machtausübung.
Dienliches Denken für Dirigenten
© David Shankbone 2010 wikimedia commons
Text:
Volker Rieble
oben
Valerij Gergiev, der künftige Chefdirigent der Münchner Philharmoniker,
unterstützt die Politik seines Staatschefs Wladimir Putin.