aviso 2 | 2014
QUINTENSPRÜNGE
WERKSTATT
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QUINTENSPRÜNGE
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Im europäischen Forschungsprojekt »Climate
for Culture«, das noch bis Ende 2014 läuft,
sind erstmals Simulationsmodelle entwickelt
und eingesetzt worden, um die Auswirkun-
gen des Klimawandels auf die Innenräume
historischer Gebäude und ihre Sammlungen
abschätzen zu können. Das multidisziplinär
zusammengesetzte Team mit 27 Partnern
aus ganz Europa und Ägypten, darunter die
6 bayerischen Institutionen, das Fraunhofer
Institut für Bauphysik aus Holzkirchen, das
Fraunhofer Institut für Silicatforschung aus
Würzburg, das Restaurierungszentrum der
Bayerischen Schlösser- und Gartenverwaltung,
das Doerner Institut aus München, der Lehr-
stuhl Restaurierung der TU München sowie die
Firma Krah & Grote aus Otterfing – arbeitet seit
2009 erfolgreich zusammen. Den Forschern ist
es gelungen, ein hochaufgelöstes regionales
Klimamodell (REMO) basierend auf zwei Emis-
sionszenarien (A1B, RCP4.5) mit thermohyg-
rischen Gebäudesimulationsmodellen (WUFI
Dr. Johanna Leissner
ist wissenschaft-
liche Vertreterin für die Fraunhofer
Gesellschaft in Brüssel und Koordinatorin
des EU Projekts »Climate for Culture«.
Dr. Ralf Kilian
,
Constanze Fuhrmann
und
Florian Antretter
sind Wissenschaft-
ler im Fraunhofer Institut für Bauphysik
in Holzkirchen und Partner im EU Pro-
jekt »Climate for Culture«.
Tina Naumovic
,
Klaus Häfner
und
Dr. Katrin Janis
sind
im Restaurierungszentrum bei der Bayeri-
schen Verwaltung der staatlichen
Schlösser, Gärten und Seen beschäftigt
und Partner im EU Projekt »Climate
for Culture«.
konstantes Raumklima maßgeblichen Einfluss auf
die Erhaltung der Kulturgüter besitzt. Doch Besu-
cher bringen nicht nur Wärme und Feuchte in die
Gebäude, sondern sie hinterlassen auch Staub und
CO2.
Strategien zur Schadensverhinderung
Gerade werden von den Wissenschaftlern zu die-
sen Fragestellungen Schadensfunktionen neu defi-
niert, die Prozesse der Alterung von Kunstwerken
beschreiben und in Vorhersagemodelle integriert.
Ein Resultat findet schon jetzt zahlreiche Anwen-
der in Museen und historischen Gebäuden – es ist
ein Software-Algorithmus des Partners Jan Radon
aus Polen. Diese Software erlaubt es, analoge Daten
der Thermohygrographen, wie sie zur Klimames-
sung noch immer in vielen Einrichtungen verwen-
det werden, in digitale Daten umzuwandeln. Nur
so können diese Daten effizient und kostengüns-
tig für weitere Interpretationen aufbereitet werden.
Diese Software kann kostenlos über die Webseite
heruntergeladen werden.
Darüber hinaus wird
gerade eine leistungs-
fähige Softwareplattform installiert und finali-
siert, womit frühzeitig Strategien zur Schadens-
verhinderung aufgezeigt werden können. Um zu
gewährleisten, dass die Ergebnisse von »Climate
for Culture« umfassend zur Neubewertung beste-
hender Klimaschutzstrategien herangezogen wer-
den und dass das neueWissen auch in die Praxis zur
Erhaltung und Restaurierung von Kirchen, Burgen,
Bibliotheken oder Archiven in unterschiedlichen
Klimazonen Europas und des Mittelmeerraums
transferiert wird, haben die Projektmitglieder ver-
schiedene Veranstaltungen organisiert. Im letzten
Jahr wurden die Ergebnisse des Projekts mit den
Partner-Denkmalinstitutionen National Trust aus
Großbritannien sowie mit demRestaurierungszen-
trum der Bayerischen Verwaltung der staatlichen
Schlösser, Gärten und Seen diskutiert und entspre-
chend weiterentwickelt. Im Januar 2014 wurden die
Ergebnisse in Paris den angehenden Restauratoren,
Kuratoren und Architekten aus Frankreich im Insti
tut National du Patrimoine vorgestellt.
Auch Handlungsoptionen für politische Entschei-
dungsträger und den Zwischenstaatlichen Aus-
schuss für Klimaänderungen (IPCC) werden erar-
oben
Türkischer Salon im Königshaus.
Plus, Hambase) zu koppeln. Diese neuartige
Methode ermöglicht Aussagen, wie sich bis
zum Jahre 2100 die klimatischen Innenraum-
bedingen in Gebäuden verändern werden und
welche Schädigungsrisiken dadurch entste-
hen. Auch der künftige Energiebedarf für eine
Klimatisierung der Gebäude lässt sich mittels
der Simulationen errechnen. Darüber hinaus
wurden erstmals durch Besucherbefragun-
gen mit neuesten wirtschaftswissenschaftli-
chen Methoden an ausgewählten Standorten
in Deutschland, England, Schweden und Ita
lien die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Folgen evaluiert, damit daraus Strategien für
den langfristigen Erhalt abgeleitet werden
können.
An den ausgewählten Fallbeispielen – in Bayern
sind es unter anderem die Königsschlösser
Neuschwanstein, Linderhof und das Königs
haus am Schachen – werden die neuen
Methoden und Erkenntnisse getestet und
validiert.
beitet. Im Vordergrund stehen dabei
die sozioökonomischen Auswirkungen:
Ein speziell vomPartner London School
of Economics entwickelter Fragebogen
ermöglicht auf der Basis der »Willing-
ness-to-pay«Methode eine Kosten-Nut-
zen-Analyse für verschiedene europäi-
sche Kulturerbestätten. In Deutschland
wurde an den Standorten Schloss Linder-
hof, Schloss Neuschwanstein und Kloster
Bronnbach im August und September
2013 eine detaillierte Besucherbefragung
durchgeführt, die zurzeit ausgewertet
wird. Erste Ergebnisse werden im Früh-
jahr erwartet, die dann den Entschei-
dungsträgern und Eigentümern vorge-
stellt werden.
Auf der politischen
Ebene stre-
ben die Partner des EU-Projektes an,
dass in künftigen Berichten des IPCC
(Intergovernmental Panel on Climate
Change) explizit die Gefahr des Klima-
wandels für das Kulturerbe diskutiert
und dessen Erhaltung als ein integraler
Bestandteil in die Nachhaltigkeitsstra-
tegien der nationalen Regierungen und
der EU-Kommission aufgenommen wird.
Die offizielle internationale Abschluss-
veranstaltung wird vom9.-10. Juli 2014
in München im Kaisersaal der Mün-
chener Residenz stattfinden: Alle er-
zielten Projektergebnisse aus 5 Jahren
Forschung werden dort einer breiten
Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Die Auswirkungen des Klimawandels
auf historische Gebäude
rechts
Veränderung der
Niederschläge in % für Winter,
Frühling, Sommer und Herbst
für die ferne Zukunft 2071-2100
im Vergleich zu 1961-1990
(A1B Szenario).
rechts
Veränderungen der
Temperatur [oC] in 2 m für
Emissionsszenarien A1B
und RCP4.5 (2071-2100 im
Vergleich zu 1961-1990).
©
Max-Planck-Institut für Meteorologie | Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen