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aviso 4 | 2014
Renaissance des zeichnens?
Colloquium
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tion Eichthal). Die beeindruckend expressiven Zeichnun-
gen funktionieren dabei durch ein wunderbar homogenes
Ineinander von analogen Zeichentechniken und digitalem
Composing – und befördern Storms Novelle mit deutlichem
Drive vom 19. Jahrhundert in die Gegenwart. Der stilisti-
schen Vielfältigkeit der grafischen Erzählungen steht der
Buchhandel oft etwas hilflos gegenüber und platziert neue
Graphic Novels gelegentlich zwischen Design und Kunst,
illustriertem Kinder- und Bilderbuch oder direkt in der
Comicecke, inmitten Mangas und Superhelden.
Freiraum für die Imagination
Gerade im »Land der Dichter und Denker« (aber nicht nur
dort) hatte es die Bildergeschichte seit jeher schwer, als souve­
räne Erzählformwahr- und ernstgenommen zu werden. Das
änderte sich nur langsam, als Ende der 1960er Jahre ameri-
kanische und verstärkt auch frankobelgische Comics in deut-
scher Übersetzung erschienen. Als dann 1974 das deutsche
Comicmagazin »Zack« die ersten Seiten von Hugo Pratts
»Südseeballade« abdruckte, wurde der hiesige Leser das erste
Mal mit einer epischen Erzählform bekannt gemacht, deren
subtil reduzierte Zeichnungen zwischen Expressionismus
und fernöstlicher Tuschemalerei die Geschichte um den
lakonischen Weltenbummler Corto Maltese nicht einfach
bebilderten, sondern dem Leser einen zuvor nicht gekann-
ten Freiraum für die eigene Imagination eröffneten. 1980
erschien dann bei Zweitausendeins »Ein Vertrag mit Gott«
von Will Eisner. Der Zeichner des maskierten Detektivs
»Spirit« hatte sich jahrelang mit dem Gedanken getragen,
Comics in einer neuen Formmit neuen Inhalten für ein neues
(erwachsenes?) Publikum zu gestalten. Seine Geschichten aus
den Mietshäusern der amerikanischen Großstädte, von Ein-
wanderern und sozialen Aufsteigern sind auf der einen Seite
schmerzlich präzise Milieuschilderung, andererseits wun-
derbar gekonntes Storytelling. Auf dem Cover der Original-
ausgabe nannte Will Eisner seine Erzählungen »A Graphic
Novel«. Zwei Jahre später dann adaptierte Hans Hillmann,
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