aviso 3 | 2016
ANTHROPOZÄN - DAS ZEITALTER DER MENSCHEN
COLLOQUIUM
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diskutiert wird. Ausgangspunkt ist da-
bei der tiefe Konflikt zwischen Klima-
schutz und Armutsbekämpfung. Denn
die bisher bekannten und finanzierbaren
Modelle wirtschaftlicher Entwicklung
sind weitgehend vom Zugang zu fossi-
ler Energie abhängig. Die meisten Ent-
wicklungs- und Schwellenländer streben
nach Armutsüberwindung und Wohl-
stand durch energieintensive Industria
lisierung, wie es von reichen Nationen
vorgelebt wurde und wird. Es gibt in der
Atmosphäre jedoch keinen Platz mehr
für das Kohlendioxid, das die Entwick-
lungsländer emittieren würden, wenn
sie sich so entwickeln wollten wie die
Industrienationen.
Viele Entwicklungsländer empfinden
die Klimakonferenzen bisher als »Öko-
Imperialismus«, mit dem die Industrie-
länder sie bevormunden und von ihrem
gerechten Anteil am globalenWohlstand
abschneiden wollen. Ohne Vorschläge
für ein Lastenteilen im globalen Kli-
maschutz, das auch aus der Perspektive
der Entwicklungsländer als gerecht
empfunden wird, laufen die politi-
schen Verhandlungen in eine Sackgasse.
Zu deren Überwindung sowie aus
ethisch-systematischen Gründen ist
die Anerkennung des Rechts auf Ent-
wicklung unverzichtbar. Globale Kon-
zepte für Klimaschutz sind nur dann
akzeptanzfähig, wenn sie Program-
me der Armutsbekämpfung sowie der
Befriedigung von Grundbedürfnis-
sen integrieren. Die Priorität des auf
Existenzsicherung bezogenen Entwick-
lungsrechtes darf jedoch nicht gegen den
Klimaschutz ausgespielt werden, denn
dieser gehört heute sowohl auf globaler
wie auf regionaler Ebene zu den wich-
tigsten Voraussetzungen für Armutsbe-
kämpfung. ImKontext der ökologischen
Krise werden Entwicklungsrechte grün.
Wer ökologische, ökonomische und
soziale Aspekte gegeneinander ausspielt
und die vielfältigen möglichen Syner-
gien ignoriert, verfehlt den Anspruch
des Konzepts der Nachhaltigkeit. Me-
thodisch sollten Klimaschutz und die
Befriedigung von Grundbedürfnissen
dabei nicht paternalistisch angestrebt
werden, sondern vor allem durch faire
Verfahren auf der Basis von Chancen-
gleichheit.
DAS WICHTIGSTE KONZEPT, um
Klimagerechtigkeit zu erreichen, lau-
tet »contraction and convergence«:
Es wird eine Obergrenze des maxi-
mal verträglichen CO2-Ausstoßes
definiert und Pflichten der National-
staaten zur allmählichen Annährung
an dieses Reduktionsziel verhandelt.
Als Obergrenze wird seit der Klima-
konferenz von Rio de Janeiro (1992)
maximal 2°C Erwärmung der globa-
lenMitteltemperatur angenommen, was
pro Kopf ca. 2 Tonnen CO2-Emission
pro Jahr bedeutet. Ethisch kann man
dieses Modell als globalen Egalitaris-
mus (Gleichheitsethik) umschreiben.
Es wird als »Natursozialismus« kriti-
siert, wobei allerdings keine robust ver-
handlungsfähigen Alternativen in Sicht
sind. Angesichts der empirischen Belege
für die dramatischen Folgen des Kli-
mawandels werden die Übergangs-
fristen (»Grandfathering«) verkürzt.
Bei der UN-Klimakonferenz von
Paris haben alle Nationen diesem
Modell zugestimmt, wobei die nationa-
len Reduktionspflichten jedoch nicht
kollektiv festgelegt, sondern durch ein
freiwilliges Melde- und Überprüfungs-
system organisiert werden. Es ist abseh-
bar, dass dies für den proklamierten
postfossilen Kurswechsel nicht hin-
reicht, was institutionenethisch schon
auf Grund des Mangels an ordnungs-
politischer Sanktionsmacht zu erwar-
ten ist.
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