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aviso 3 | 2016
ANTHROPOZÄN - DAS ZEITALTER DER MENSCHEN
RESULTATE
DAS BILD ZEIGT
die Gebirgslandschaft östlich von
Olympia im Hintergrund. Das heute noch breite
und imWinter wasserreiche Flussbett des Alpheios
führt am Zentrum des Geschehens vorbei, sicht-
bar hinter der Baumgruppe der rechten Seite. Im
Vordergrund steht ein Hirsch mit seiner Herde
am Rande eines Sees. Ein Rinnsal fließt über eine
Mauer, in der linken Bildhälfte keine Kiefern wie
rechts, sondern Laubbäume, einer davon umge-
stürzt. Ortskundige wie Klaus Herrmann (+), lang-
jähriger Grabungsarchitekt und herausragender
Kenner der Topographie Olympias, haben darauf
hingewiesen, dass es »weder für die nach Westen
abfließende Quelle noch für die in dieser Gegend
längst ausgerotteten Hirsche irgendeine reale Ent-
sprechung gegeben haben kann«. Vermutet man,
dass dieser wasserreiche Vordergrund – wie auf
anderen Gemälden Rottmanns – nicht nur frei
erfunden und als idyllisches Versatzstück ins Bild
hineinkomponiert wurde, sondern auch etwas mit
der mythologischen Bedeutung vonWasser an die-
sem Ort zu tun hat, wird man schnell fündig. In
der »Beschreibung Griechenlands des Pausanias«,
ein Werk, das jeder an der Geschichte des Landes
interessierte Griechenlandreisende des frühen und
mittleren 19. Jahrhunderts gekannt haben muss,
steht gleich amAnfang der ausführlichen Beschrei-
bung Olympias (5.7.2) ein erster Hinweis auf die
unglückliche Liebesgeschichte zwischen dem Fluss-
gott Alpheios und der Nymphe Arethusa. Am aus-
links
Carl Rottmann, »Olympia«, um 1837, Aquarell, Staatliche Graphische Sammlung München, (Abb. 4).
führlichsten beschrieben ist die Affäre in Ovids wunderbarer 16. Meta-
morphose des fünften Buchs. Dort erzählt die jungfräuliche Gefährtin
der Artemis in Ichform ihre Geschichte. Als geschickte Jägerin aus
einemNymphengeschlecht in Achaia stieg sie nach mühsamer Jagd bei
drückender Hitze in das Wasser eines klaren Flusses, »mein weiches
Gewand der gebogenen Weide vertrauend«. Der Flußgott Alpheios
tauchte auf und begehrte sie; ohne ihre Kleider, die am anderen Ufer
lagen, musste sie vor ihm fliehen, über Orchomenos und andere Orte
bis hinunter nach Elis (die griechische Landschaft, zu der Olympia
gehört). Erst dort ließen ihre Kräfte nach, und als sich ihr Alpheios mit
keuchendem Atem näherte, rief sie ›Diktynna‹ – so wurde die Jagdgöt-
tin Artemis gelegentlich genannt – um Hilfe, nicht ohne darauf hinzu-
weisen, dass sie selbst die Göttin oft beim Jagen mit dem Bogen beglei-
ten durfte und deshalb als ihre Gefährtin gilt. Artemis warf bergenden
Nebel über Arethusa, Alpheios tappte ratlos herum und bewachte das
Gewölk. Es folgt die Metamorphose:
Kalter Schweiß umströmt mir Belagerten jezo die Glieder,
Dass von dem ganzen Leibe mir bläuliche Tropfen entfallen.
Wo ich die Füße bewegt, dort wallet ein See; aus den Locken
Trieft mir der Thau; und geschwinder, als nun ich erzähle mein Schicksal,
Lös’ ich in Nässe mich auf.
AUCH ALPHEIOS
»wird, mir sich zu mischen, in eigene Fluten verwan-
delt«. Diese Szene erzählt Rottmann auf subtile Weise, in dem er den
Ort des Geschehens so darstellt, wie er in nachantiker Zeit ausgesehen
haben könnte (Abb. 3). Der See, entstanden durch die Verwandlung
der Arethusa und des Alpheios in Wasser, existiert noch, der Hirsch
mit seiner Herde deutet leise darauf hin, dass die Jagdgöttin Artemis,
zu deren Lieblingstieren er gehört, in das Geschehen verwickelt war.
© Neue Pinakothek München | Staatliche Graphische Sammlung München