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aviso 3 | 2016
ANTHROPOZÄN - DAS ZEITALTER DER MENSCHEN
WERKSTATT
Aufträge trotz Feindbild
Georg Schrimpf (Lochhausen/München 1889-1938
Berlin) hatte sich in jungen Jahren mit den frü-
heren Anarchisten wie Max Stirner und Bakunin
befasst und sich auch mit ihnen identifiziert. Um
1912 stand er dem radikalen Linken und Dichter
Erich Mühsam nahe, später fühlte er sich dem
avantgardistischen und links-orientierten Künst-
lerkreis um den »Sturm« – schon der aufbrausende
Name ist Programm! – nahe. Das »Stillleben
mit Katze«, ein nur scheinbar unbewegt-unbe-
wegliches Sujet also, lässt nicht im Entferntesten
erahnen, dass Schrimpf sich außerhalb der politi-
schen und sozialen Konventionen befunden hatte,
ehe er zu einem Hauptmeister der sogenannten
Neuen Sachlichkeit wurde. Aus dieser scheinbar
modernen Auffassung, die die Gegenwartskunst
mit klassizistischen und sogar biedermeierlichen
Strömungen und also rückwärts verband, erwuchs
Schrimpfs Kunst mit ihrer Betrachtung des Ein-
fachen und ihrer Besinnung auf das Elementare.
Franz Roh nannte Schrimpfs Kunst einen »Idea-
lismus der Güte«; für die ambivalente Epoche der
1920er und 1930er Jahre spielte diese zwischen
Skepsis und Naturaneignung changierende Malerei
eine entscheidende Rolle. Schrimpf bekennt sich
mit diesem zehn Jahre vor dem Machtantritt der
Nationalsozialisten entstandenen Gemälde zur bie-
deren, obgleich nüchternen Tradition der Malerei,
die sich ein Jahrzehnt später als insofern proble-
matisch erweisen sollte, als sie ihre vermeintliche
Unschuld verloren hatte. Aufgrund seiner anar-
chistischen und kommunistischen Anfänge wurde
er späterhin als ›entartet‹ diffamiert. Sein küh-
ler Neoklassizismus und sein Neoromantizismus
aber ließen ihn prädestiniert für die Interessen
der Mächtigen erscheinen, und so verwundert es
nicht, dass er Aufträge von Parteigrößen bekam.
Rückzug in die Innerlichkeit
Der heute zu Recht vergessene Hans Müller-
Schnuttenbach (München 1889-1973 Rosenheim)
malte mit dem in großem Format gehaltenen, vom
Schnee-Weiß geprägten »Winter 1941/42« eine
lyrische, in der Tradition der Romantik stehen-
de, trist-stille Landschaft (Abb. 1: Mitte). Zwei
Bäume ragen ins Licht, diese Weite wirkt stumm,
eine Ansiedelung ist rechts in der Ferne sichtbar.
Doch dass trotz der lyrischen Grundstimmung
dem Bild – geradezu unfreiwillig – etwas wahr-
haft Dämonisches und etwas unendlich Leeres
einbeschrieben ist, wird spürbar, sofern man sich
vergegenwärtigt, dass es zu jener Zeit entstand, als
die deutschen Truppen in die Sowjetunion einge-
rückt waren und mit der Belagerung Leningrads
ein grausames Töten und Aushungern
begonnen hatte, in dem der Winter zur
Szenerie des Grauen wurde. Ausblenden
konnte man das damals vielleicht, wenn
man sich nicht über die Weltgeschichte
informierte, aber heute gehört es zum
historischen Kontext. Das Bild kam
nach Kriegsende von der Reichsleitung
der NSDAP über den Central Collecting
Point in die Bayerischen Staatsgemäl-
desammlungen. 1950 wurde in Rosen-
heim eine umfangreiche Werkschau des
Künstlers gezeigt: »Die Arbeiten dieses
Künstlers interessieren umso mehr, als
sie in den Besitz der Stadt Rosenheim
übergegangen sind. Der Maler ist einer
von den Stillen im Lande […, …] ein
Lyriker, oft ein Idylliker«, schrieb das
Oberbayerische Volksblatt 1950. Diese
Fokussierung auf die Innensicht und
Verhaltenheit half dem Künstler durch
die Zeit des Nationalsozialismus; das
Münchener Bild zeigt in erster Linie die
Rückbesinnung auf die lyrische Land-
schaftsmalerei der Jahrhundertwende
um 1900: Auch das konnte ein Ausweg
sein, in Deutschland den Nationalsozi-
alismus – gegebenenfalls mit Kompro-
missen – durchzustehen.
Am bizarrsten ist wohl das Werkschick-
sal von Günther Graßmanns (München
1900-1994) ebenfalls aus- und zur Dis-
kussion gestelltem Werk »Bauernhöfe
im Chiemgau« von 1933, das 1934 auf
der Großen Kunstausstellung München
angekauft, 1937 als ›entartet‹ beschlag-
nahmt und 1940 an die Bayerischen
Staatsgemäldesammlungen zurückge-
geben wurde (Abb. 1: rechts). Auch dies
ist eine karge Winterlandschaft, kein
Bild der Lebensfreude. Diesem Künst-
ler, der zeitweilig sein Auskommen in
Staatsaufträgen suchte, begegnete eine
so weitreichende ästhetische Unsicher-
heit der Machthaber, dass die Verunsi-
cherung sich in derartigen Akten der
Hilflosigkeit manifestierte. Als er 1983
durch eine Ausstellung im Münchner
Stadtmuseum gewürdigt wurde, kon-
statierte die Rezensentin der Süddeut-
schen Zeitung: »Er habe, sagte er bei
der Eröffnung, als freier Maler immer
versucht, Dinge zu schaffen, die sich –
ohne Berufung auf irgendeine Theorie –
unmittelbar an das schauende Auge
wenden.«
oben
Blick in den Ausstellungssaal 13 in
der Pinakothek der Moderne mit Werken
von Karl Hofer, Georg Kolbe
und Karl Kunz (Abb. 4).