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aviso 3 | 2016
ANTHROPOZÄN - DAS ZEITALTER DER MENSCHEN
WERKSTATT
und Porträts geschaffen. Die Bayerischen Staatsgemälde
sammlungen bewahren von ihm über 100 Werke auf. Ähn-
lich wie Georg Schrimpf, der schon vor 1933 Verkehrsbauten
und den Reichsrundfunksender malte und damit eine neu-
sachliche Dokumentation der Umwelt praktizierte, stellte
auch Carl Protzen ein Exemplum der modernen staatsgeför-
derten Baukunst dar. Der Unterschied besteht nicht primär
in stilistischen Fragen, sondern im Kontext: Die Autobahn-
bauten, deren Kriegsverwendbarkeit öffentlich noch gar nicht
thematisiert worden war, sollten in einer größeren Anzahl von
Gemälden von diversen deutschen Künstlern dokumentiert
werden, gleichsam in der Tradition der Neuen Sachlichkeit.
Das Pathos der Darstellung konnte der Tatsache gelten, dass
diese konkrete Stahlbetonbrücke eine bedeutende technische
Leistung darstellte, doch aus heutiger Sicht weiß man, dass
sich dahinter auch eine Ausdrucksform der schleichenden
inneren Aufrüstung verbirgt. War also die Bereitschaft des
Malers, die zeitgenössischen topografischen Veränderungen
zu dokumentieren, nur der Reflex eines Zeitgeistes?
Komplexe Fragen zu komplizierten Sachverhalten
Meint man pauschalisierend, dass diese Maler dem Regime
nahestanden und damit inakzeptabel sind, so darf man doch
nicht übersehen, dass sogar Ziegler zeitweilig im Konzen
trationslager lebte: Wegen »internationaler Friedensinitia-
tiven« (Schuster 1987) wurde er 1943 inhaftiert: Die Dinge
sind kompliziert, und so, wie die Literatur von Gottfried
Benn einer differenzierten Bewertung zu unterziehen ist, so
auch die Kunst solcher zeitweilig staatsnahen Künstler. Eine
Beschränkung auf die bloße, vermeintlich absolute ästhetische
Qualität kann der Komplexität solcher Fragen nicht gerecht
werden und bleibt auf dem halben Wege stehen.
Auf einer anderenWand (Abb. 3) sieht manWerke vermeintlich
sozial neutraler Werke, darunter eine liebliche spätromanti-
sche Landschaft »Heimkehr der Hirten« von Edmund Step-
pes (Burghausen 1873-1968 bei Deggendorf). Dieser Maler
in der Nachfolge eines Hans Thoma oder Karl Haider kon-
zentrierte sich auf liebliche Landschaften, die in den 1920er
Jahren nicht anders ausfielen als in und nach der Zeit des
Nationalsozialismus. Sein Anliegen dürfte gewesen sein, das
Regime schadlos zu überstehen, ohne ins Exil gehen zu müs-
sen. Seine Kunst war anerkannt. Er erhielt 1938 oder 1943
die Goethemedaille und 1955 das Verdienstkreuz der jungen
Bundesrepublik. Er soll gesagt haben, er male nur, was er mit
geschlossenen Augen sehe: Darin klingt fast wörtlich Caspar
David Friedrichs Äußerung über die Aufgabe und Methodik
des Malers nach. Seine Landschaften zeigten, reklamierte der
Rezensent des »Völkischen Beobachters« imNovember 1934,
den »Lebensraum für ein heroisches Geschlecht«: Macht die
Rezeption ein Gemälde zur schlechten Kunst? Was ist dem
Bild anzulasten, und was dem Künstler, der für die national-
sozialistische Doktrin gefochten haben soll (»Der Freiheits-
kampf« 28.4.1934)? War er konservativ, angepasst oder ein
Nationalsozialist, der nach 1945 dennoch zu Ehren und Aus-
stellungen kam? Die Geschichte fordert Differenzierung und
Auseinandersetzung.
Alle Fotos © Johannes Haslinger, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, 2016