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aviso 1 | 2017

NISCHEN IM FOKUS

:

COLLOQUIUM

seit 2012 wird diese Arbeit von einer entsprechenden Arbeits-

stelle an der Universität Mainz fortgesetzt. Diese beiden Ar-

beitsstellen haben eine stattliche Reihe von Untersuchungen

und Analysen publiziert (greifbar auf

der Mainzer Homepage:

www.kleinefaecher.de), durch die e

ine stabile Arbeitsdefini-

tion, was ein kleines Fach sei, vorlieg

t. Ferner ist durch Erhe-

bungen eine Art von ›Kartierung‹ vorgenommen, an welchen

universitären Standorten welche Kleinen Fächer mit welcher

Personalausstattung vertreten sind. Auf diese Ergebnisse

greife ich im Folgenden (dankbar) immer wieder zurück.

Was ein ›Kleines Fach‹ ausmacht

Im Begriff ›Kleines Fach‹ ist evidenterweise die Quantität

das zentrale Kriterium der Definition: dieser Begriff bezeich-

net an Hochschulen angesiedelte Disziplinen, die rein formal

dadurch bestimmt sind, dass sie mit wenigen Professuren

(d. h. höchstens drei an zudem nicht mehr als zwei Standor-

ten) ausgestattet sind und/oder nicht an allen Universitäten

betrieben werden. Unter ›Fach‹ wird dabei ein ›eigenstän-

diges‹ wissenschaftliches Gebiet verstanden. Eigenständig-

keit liegt, so die Arbeitsdefinition, dann vor, wenn ein sol-

ches Gebiet sich selbst als Fach versteht, es für dieses Gebiet

entsprechend denominierte Professuren gibt, ein eigenstän-

diges Qualifikationsprofil, an dem sich der jeweilige Fach-

›Nachwuchs‹ orientiert, entwickelt ist und entsprechende

Fachgesellschaften und Fachzeitschriften existieren.

DERARTIG AUFGEFASSTE

Kleine Fächer finden sich daher

in nahezu allen wissenschaftlichen Bereichen, in Geistes- und

Sozialwissenschaften, in denWirtschaftswissenschaften und

in den Natur- und Ingenieurwissenschaften. Zudem liegt in

dieser Form der Definition auch etwas von einer ›Moment-

aufnahme‹. Denn aufgrund der sachadäquaten Dynamik des

Wissenschaftsbetriebs entstehen kontinuierlich neue Diszi­

plinen, die zunächst quantitativ klein sind, aber expandieren

können. So war, um ein Beispiel aus den Naturwissenschaf-

ten zu benutzen, die Bioinformatik 1997 (für dieses Jahr hat

die Potsdamer Arbeitsstelle die erste Übersicht vorgelegt)

klärlich ein Kleines Fach, das an vier Universitäten gelehrt

wurde und insgesamt über sechs Professuren verfügte. 2015

steht dagegen die Bioinformatik mit insgesamt 43 Profes-

suren an 27 Universitäten auf dem Sprung, die Einstufung

als Kleines Fach hinter sich zu lassen.

Insgesamt, dies haben die Potsdamer und Mainzer Erhe-

bungen ergeben, scheint die Gesamtzahl der Professuren in

den Kleinen Fächer mit etwa 2000 Stellen (davon mehr als

320 in Bayern) seit 1997 stabil. Die Verteilung der Kleinen

Fächer über die wissenschaftlichen Großbereiche ist indes

ungleichmäßig. Von den mehr als 100 durch die ›Kartierung‹

ermittelten Disziplinen gehören mehr als 80 % zu den Geis-

tes- und Kulturwissenschaften. Ferner sind unterschiedli-

che Entwicklungen in den jeweiligen Großbereichen, denen

die Fächer jeweils angehören, zu erkennen: Während in den

Sozialwissenschaften und in den Naturwissenschaften zwi-

schen 1997 und 2015 die Kleinen Fächer zusammengenom-

men um etwa 100 Professuren gewachsen sind, verlor im

gleichen Zeitraum allein der Bereich der Alten Sprachen und

Kulturen 40 Professuren (von insgesamt 200).

Unentbehrlich für die ganzheitliche Erforschung der Welt

Dass gerade in Geistes- und Kulturwissenschaften Kleine

Fächer so zahlreich sind (und näher besehen das Gros die-

ses Wissenschaftsfeldes darstellen), ist – auf den ersten Blick

paradox – im Prinzip Ausdruck des wissenschaftlichen Fort-

schritts in diesemBereich. Diese Fächer haben sich nämlich

im 19. und 20. Jahrhundert zu einem erheblichen Teil als

notwendige Spezialisierungen aus zunächst wenigen größe-

ren und undifferenzierten Feldern entwickelt: So etablierten

sich etwa Lusitanistik und Rumänistik als Teilgebiete der

Romanistik, so differenzierte sich in verschiedenen Etappen

die Geschichtswissenschaft aus einer ›Universalgeschichte‹

in größere und kleinere Einheiten, auf der einen Seite etwa

in die große Zeitgeschichte oder Geschichte des 19. Jahrhun-

derts, auf der anderen Seite in kleinere Fachgebiete wie Alte

Geschichte, Technikgeschichte usw. Ein anderes Segment

der Kleinen Fächer entstand durch die buchstäbliche oder

metaphorisch zu verstehende ›Entdeckung‹ neuer Gegen-

stände für Forschung, die zur universitären Institutionali-

sierung von etwa der durch Grabungen und Materialfunde

in Vorderasien begründeten Assyriologie oder Hethitolo-

gie (oft gemeinsam als Altorientalistik bezeichnet) auf der

einen, von Fächern wie Austronesistik oder Koreanistik,

die auf ein wachsendes Interesse an diesen Regionen und

Kulturen gründen, auf der anderen Seite führten. Systema-

tisch betrachtet, füllen diese Kleinen Fächer gleichsam die

Lücken zwischen den großen Disziplinen im Projekt einer

holistischen Erforschung der Welt, die sowohl dia- wie syn-

chron angelegt ist. Kleine Fächer, so muss man hieraus schlie-

ßen, sind prinzipiell unentbehrliche Bestandteile einer all-

gemeinen Wissenschaft, die ein ganzheitliches Verständnis

der Welt zum Ziel hat. Insofern sind die Verluste an Profes-

suren in diesem Wissenschaftsbereich durchaus keine Peti-

tesse, die man mit der Einstufung der betreffenden Diszi­

plinen als ›Orchideenfächer‹ – mit der Insinuation, sie seien

hübsch, aber nutzlos – verharmlosen könnte.

NUN MAG MAN

sich mit der Feststellung beruhigen, dass

ungeachtet der proportional hohen Verluste der geistes- und

kulturwissenschaftlichen Kleinen Fächer wenigstens – so

jedenfalls nach Ausweis der Erhebungen – noch kein Fach

wirklich ganz gestrichen worden ist. Kann es nicht für den

deutschen Universitätsraum ausreichend sein, wenn eine

Disziplin überhaupt noch ein- oder zweimal vertreten ist?

Eine solche Überlegung übersieht einerseits eine besondere

Dimension der Kleinen Fächer in den Geistes- und Kultur-