Table of Contents Table of Contents
Previous Page  4 / 52 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 4 / 52 Next Page
Page Background

|4|

aviso 1 | 2017

NISCHEN IM FOKUS

:

WORAUF ICH MICH FREUE

WORAUF ICH MICH FREUE

TANJA GRAF

FÜR MICH WAR

2016 ein ereignisreiches, enorm beflügelndes Jahr. Seit 1. Juli

leite ich das Literaturhaus – die schönste Aufgabe der Stadt für jemanden, der

wie ich aus der Buchbranche kommt. Worauf ich mich freue? Sowohl privat als

auch beruflich gibt es eine ganze Reihe von Dingen.

Zunächst einmal: Ich freue mich jedenMorgen darauf, mit dem Fahrrad zu meiner

Arbeit an den Salvatorplatz zu radeln. Mein Weg führt mich durch die Amalien-

straße, vorbei an den Studentencafés, wo gerade die ersten Cappuccini eingenom-

men werden. Dann geht es über denWittelsbacherplatz in die Kardinal-Faulhaber-

Straße mit ihren Barockpalais, und ich denke jedes Mal: So schön ist München!

Im kommenden Jahr freue ich mich auf ein paar spannende Neuerungen im Li-

teraturhaus: Zum 20-jährigen Jubiläum, das wir im Juni begehen, werden wir

unseren optischen Auftritt auffrischen mit einem neuen Logo und einer neu-

en Website. Eine immer wichtigere Rolle nimmt bei uns die Bayerische Aka-

demie des Schreibens ein: Viele der jungen Autoren, die an unseren Seminaren

teilnehmen, können sich über Buchverträge mit namhaften Verlagen freuen.

Wir planen eine große Oskar-Maria-Graf-Ausstellung, die den Säulenheiligen

unseres Literaturhauses feiert: Als Weltliteraten mit tiefer lokaler Verwurze­

lung, aber auch als den Autor, der seine bedeutenden autobiografischen Romane

im New Yorker Exil geschrieben hat – in einer sprachlichen Isolation, vergleich-

bar mit der, die Schriftsteller aus dem

arabischen Sprachraum erleben, die nun

zu uns ins Exil kommen.

DIE VIELSEITIGKEIT DER

Themen, die

mir bei meiner neuen Aufgabe begegnen,

ist enorm bereichernd. Deshalb freue ich

mich besonders auf ständig neue Lek-

türen. Dazu werden zunächst die gro­

ßen amerikanischen Romane gehören,

die wir zu Jahresbeginn im Literatur-

haus vorstellen: Jonathan Safran Foers

»Hier bin ich«, aber auch das vielgelobte

Debüt der US-Autorin Hanya Yanagi­

hara, »Ein wenig Leben«, auf das ich

gespannt bin. Im Moment lese ich ei-

nen Klassiker von Oskar Maria Graf:

»Unruhe um einen Friedfertigen«. Die-

ser Roman um den jüdischen Schuster

Kraus gewinnt gerade in unserer Zeit

neue Aktualität.

Thematisch widmen wir uns im nächs­

ten Jahr Frankreich, unserem wich-

tigsten Nachbarn in Europa: unsere

enge kulturelle Verbundenheit ist über

die Ereignisse der letzten Zeit etwas in

den Hintergrund geraten. Das möch-

ten wir im Wahljahr 2017 ändern und

mit aktuellen literarischen Neuerschei-

nungen, aber auch mit politischen und

philosophischen Debatten übers ganze

Jahr zum Austausch anregen.

ZUNÄCHST JEDOCH FREUE

ich mich

auf einen fulminanten Endspurt unse-

rer Helmut-Dietl-Schau: Sie ist eine

Verneigung nicht nur vor dem großen

Filmemacher, sondern auch vor dem

Mythos München, das in den 1980-er

Jahren eine besondere Blüte erlebte. Im

März eröffnen wir eine Ausstellung, die

uns allen sehr amHerzen liegt: Herlinde

Koelbl, die große Fotografin und Chro-

nistin unserer Gegenwart, hat im Bild

festgehalten, wo Flüchtlinge ankommen

und unter welchen Umständen sie ihr

provisorisches Leben einrichten. Ein

Thema, das gerade für München eine

große Bedeutung hat und uns auch im

neuen Jahr weiter beschäftigen wird.

Tanja Graf

studierte Romanistik in

München und Paris, war Lektorin und

Verlegerin, seit 1. Juli 2016 leitet

sie das Literaturhaus München.

© Christian Martin Weiss