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aviso 1 | 2017

NISCHEN IM FOKUS:

COLLOQUIUM

Was hören wir, wenn es still ist? | Serafine Lindemann | Seite 28 Dem Inkarnat auf der Spur | Esther P. Wipfler/Yvonne Schmuhl | Seite 42

Dr. Ludwig Spaenle

Bayerischer Staatsminister

für Bildung und Kultus,

Wissenschaft und Kunst

LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER,

Nischen haben einen guten Ruf. Zunächst erweitern sie

Räume, ja sie schaffen einen Raum im Raum, der, ins rechte

Licht gesetzt, den Blick auf sich zieht. Gemeinhin stehen

Nischen allerdings für eher unbeachtete Bereiche, in denen

Interessantes ungestört gedeiht. Der Darwin’sche Begriff der

ökologischen Nische bezieht sich auf die besonderen Lebens-

bedingungen in einem Habitat, an die sich ein Individuum

anpasst. Notwendig ist das, damit das große Ganze funktio-

niert. Damit in der fruchtbaren Ebene nicht zu viele Lebewesen

umRessourcen kämpfen, müssen unwirtliche Gefilde besiedelt

werden. Fruchtbar hat sich auch die Wirtschaftspsychologie

den Begriff der Nische gemacht. Marktnischen reagieren auf

besondere Bedürfnisse und können äußerst lukrativ sein. In

soziologischer Sicht geht es bei Nischen meist um Randgrup-

pen oder Subkulturen jenseits des Mainstreams, wo Spannen-

des entsteht. Der Rückzug in die private Nische ist meist ein

Indikator für ein gestörtes Verhältnis zwischen Staat und

Individuum. Ein Beispiel ist die Restaurationszeit des 19. Jahr-

hunderts, wo sich das Bürgertum in einer politikfreien Zone

behaglich einrichtete – gespiegelt in der Zeitschrift »Garten-

laube«. Günter Gaus meinte in der DDR eine »Nischenge-

sellschaft« zu erkennen, wo durch Rückzug ins Private Frei-

räume entstanden, in denen beschränkte persönliche Entfaltung,

sicher vor dem Zugriff des Staates, möglich war. Die Diskus-

sion um diesen Begriff hält bis heute an. Fest steht bei all

diesen Bedeutungsfacetten, dass in der Begrenzung der Nische

eine besondere Kraft zu liegen scheint. Umso wichtiger ist es,

dass Nischen – besonders im Kulturleben unserer Städte und

Regionen – erhalten bleiben müssen. Geben wir gut acht auf

sie. Verlieren wir sie, so verlieren wir Vielfalt, Reichtum, letzt-

lich: Lebendigkeit.