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Toni Pfülf (1877–1933)

Einsichten und Perspektiven 2 | 17

stellung von Mann und Frau in der Ehe, die Reformierung

des Ehescheidungsrechts, die Gleichstellung außerehe­

licher und ehelicher Kinder, staatliches Kindergeld sowie

die Neuordnung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes.

Und sie beschwört die Notwendigkeit eines tiefgreifenden

Wandels in der politischen Kultur.

Im Parlament ist Toni Pfülf zudem in der Jugend- und

Bildungspolitik engagiert und argumentiert gegen eine

frühzeitige Auslese von Schulkindern nach vier Grund-

schuljahren. Persönlich ist sie der Ansicht, alle Kinder

sollten acht Jahre gemeinsam zur Schule gehen, vertritt

im Parlament aber die Linie ihrer Fraktion und plädiert

für eine zumindest sechsjährige gemeinsame Schulzeit

aller Kinder, „gegenseitig nehmend und gebend, was sie

zu geben und zu nehmen haben“. Volksschule und höhere

Schule sollten nicht nebeneinanderlaufen, sondern „zu

einem organischen Ganzen zusammenwachsen“.

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Eines ihrer zentralen Anliegen ist die Gleichberechti-

gung von Beamtinnen, etwa durch die Abschaffung des

Heiratsverbotes (sogenanntes Lehrerinnen-Zölibat). Der

Zölibatsklausel zufolge mussten Frauen bei ihrer Heirat

aus dem Staatsdienst ausscheiden und verloren auch ihren

Anspruch auf Ruhegehalt. Heirateten sie nach ihrer Pen-

sionierung, konnte der Staat das Ruhegehalt ganz oder

teilweise zurückziehen. Als Folge dieser Praxis wurden

ausschließlich ledige oder kinderlose Witwen als Beamtin-

nen angestellt. In ihrer Parlamentsrede in der Nationalver-

sammlung zu einem entsprechenden Antrag erwähnt sie

als „rühmliche Ausnahme“ das bayerische Beamtengesetz

von 1910, „das der Beamtin theoretisch den Verbleib im

Amt gewährleistet, auch wenn sie in die Ehe tritt“.

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Die Verwaltungswissenschaftlerin Eleonora Kohler-Geh-

rig erläutert die wechselvolle Geschichte der Zölibatsklausel:

„1921 verkündete das Reichsgericht die Verfassungswid-

rigkeit der Zölibatsklausel aufgrund Art. 128 Abs. 2 der

Weimarer Verfassung. Die Personalabbauverordnung von

1923 führte das Berufsverbot für verheiratete Beamtinnen

faktisch wieder ein. Das Dienstverhältnis von verheirateten

weiblichen Beamtinnen, selbst bei Beamtinnen auf Lebens-

zeit, wurde jederzeit kündbar gemacht. Die Zölibatsklausel

wurde 1932 wieder eingeführt und imBundespersonalgesetz

von 1950 weitergeführt. Erst Art. 3 GG und Art. 117 GG

17 Reichstagsprotokolle 1919/20, 151. Sitzung der Nationalversammlung vom

8. März 1920 http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_wv_bsb000000 16_00426.html [Stand: 01.05.2017].

18 Reichstagsprotokolle 1919/20, 59. Sitzung der Nationalversammlung vom

17. Juli 1919. http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_wv_bsb000000 12_00184.html [Stand: 01.05.2017].

brachten 1953 den verfassungsmäßigen Gleichheitsgrund-

satz für Beamtinnen wieder zur Geltung. Die Zölibatsklau-

sel hatte zwei Funktionen. Sie diente dazu, den Beamtinnen

ein gleichwertiges Qualifikationsniveau gegenüber ihren

Kollegen abzusprechen, da sie nur befristet als Arbeitskräfte

zur Verfügung standen. Damit erhielt die Verwaltung eine

flexible, junge und leistungsfähige Belegschaft und konnte

die sozialen Folgekosten möglichst niedrig halten.“ 

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Entschieden vertritt Toni Pfülf die Überzeugung, der

Staat als Arbeitgeber habe nicht das Recht, sich in die Privat-

angelegenheiten seiner Arbeitnehmer wie etwa den Perso-

nenstand einzumischen. Die gelernte Lehrerin bleibt selbst

zeitlebens unverheiratet und kinderlos. Doch vollzieht die

Abgeordnete der Weimarer Nationalversammlung daheim

in München einen Schritt, der ihr nachhaltigen Ärger mit

der staatlichen Obrigkeit einbringen sollte: Im Herbst des

Jahres 1919 tritt sie aus der katholischen Kirche aus.

Ein Kirchenaustritt und seine Folgen:

„Eine Beschäftigung der Pfülf ist zu unterlassen“

Nach krankheitsbedingtem vorübergehendem Ruhestand

kehrt Toni Pfülf im Frühjahr 1920 in den Schuldienst

zurück – zumindest offiziell. Laut Personalakten ist sie

an der Haimhauserschule beziehungsweise an der Schule

an der Simmernstraße in München Schwabing angestellt.

Ende September fordert sie von der Schulbehörde eine

Hilfslehrerin an, „da mich dringende parlamentarische

Pflichten sehr häufig von München abrufen“ 

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Wenige Wochen zuvor, am 9. September 1920, war

sie von Stadtschulinspektor Reichel ins Rathaus gebe-

ten worden. Was sie nicht ahnte: Der Beamte hatte von

der Regierung von Oberbayern den Auftrag erhalten, ihr

das Geständnis ihres Kirchenaustritts zu entlocken. Man

gedenkt sie wegen dieses Schritts zu sanktionieren, gemäß

dem Grundsatz, dass an bayerischen Schule nur Lehrer

mit christlichem Glaubensbekenntnis zum Einsatz kom-

men könnten. Zunächst hatte man versucht, hinter ihrem

Rücken von den Münchner Standesämtern einen schrift-

lichen Beweis ihres Kirchenaustritts zu erhalten. Nach-

dem das erfolglos geblieben war, soll die Betroffene nun

also selbst zum Reden gebracht werden. Zu Beginn des

Gesprächs sichert der Stadtschulinspektor Toni Pfülf Ver-

traulichkeit zu; doch nachdem sie ihm den Kirchenaus-

19 Eleonora Kohler-Gehrig: Die Geschichte der Frauen im Recht, August 2007

(PDF). www.verwaltungmodern.de/wp-content/uploads/2011/11/skfrauen geschichte_1.pdf, S. 23 [Stand: 01.05.2017].

20 Schreiben von Toni Pfülf an die Schulbehörde München vom 27. Septem-

ber 1920, in: Personalact (wie Anm. 5).